Und jetzt: Unsere Verantwortung.
Auf uns kommt’s nun an. Nach der Lockerung. Wer ist uns? Jeder. Darin steckt das Risiko des Leichtsinns. Und die Chance der Verantwortung. Nicht von null auf hundert! Nicht alles auf einmal! Kein unbedingtes Vollgas! Schon in der Lockerung nachhaltige Elemente kultivieren! Entschleunigung im Alltag JETZT praktizieren! Risiken sehen, sie akzeptieren, sie im Blick haben, aber nicht mit ihnen jonglieren. Zeigen, dass ein Balanceakt kein Harakiri sein muss, sondern ein gutes Stück Vertrauen in unseren Charakter sein kann.
Wie macht man das Beste aus den sich nun bietenden Perspektiven stufenweise zu erreichender Normalität? Was bedeutet das Abstandsgebot nicht nur in der geografischen Entfernung im Mikrokosmos von Restauranttischen, sondern im Respekt, den unser persönliches Verhalten betrifft?
Ein Infektionsrisiko null werden wir nicht erreichen. Aber Umgang, Fairness, Rücksicht, freiwillige, nicht verordnete Zurückhaltung und Benehmen sind die Eckpfeiler der Verantwortung, auf die es jetzt ankommt. Sie sind die Reifeprüfung für die wieder so locker werdenden Menschen. Das klingt so allgemein, dabei ist es konkreter denn je. Und gilt – ab sofort. Für den Neustart. Für die ökonomischen Folgen, die wir nicht so schnell einfach aus der Welt schaffen. Für die relative Solidität Deutschlands im Vergleich zu anderen Ländern – nach wie vor noch mittendrin in der Schockstarre dieser Pandemie, die sich nicht plötzlich in Luft auflöst.
Wie lange wird die Phase dauern, diese Destabilisierung, diese Erosion, die manche unserer europäischen Nachbarn noch gnadenloser trifft als uns selber? Das funktioniert nicht nur national, sondern bitte diesmal endlich international. Wer jetzt politische Stabilität will, muss den schmalen Grat zwischen Binnennachfrage und europäischer Solidarität gehen. Das zu vermitteln, ist hohe politische Kunst.
Haben wir in den letzten Wochen etwas gelernt? Erkennen wir jetzt andere Prioritäten für unsere Zukunft? Für Digitalisierung als Chance, für die Notwendigkeit technischen Know-hows. Für die Herausforderung, die ökonomische und technologische Dominanzen provozieren, in denen Europa immer mehr an Bedeutung verliert. Entwickeln wir endlich eine überlebenswichtige Sensibilität für diese realen globalen Dimensionen?
Mischen wir uns ein – nicht nur, wenn es ums alltagswesentliche Abstandsgebot in den Gaststätten und Geschäften geht, sondern um die Einmischung an den relevanten Tischen, an denen Amerikaner und Asiaten sitzen und wo wir schon viel zu viel Abstand halten. Ergänzen wir die am Mittwoch so betonte Glückseligkeit föderaler Dominanz um eine internationale Strategie, die Deutschland schon lange nicht mehr hat.
Bildmotiv: Emil Ciocoiu