Verschwörung!
An diesem Wochenende waren sie unterwegs, die Anti-Corona-Maßnahmen-Helden. Die Kämpfer gegen jede Form von Corona-Diktat(ur) Auch sie sind letztlich ein Beleg dafür, dass rechtslastiges Gedanken“gut“ irgendwo und irgendwie in einem Teil unserer Gesellschaft angekommen ist – und damit Verschwörungstheorien, Fake News und Respektlosigkeit als erschreckender Teil des sozial-medialen und demonstrativen Alltags.
Auch Corona zeigt in dieser Demo-Variante die Fratze der Verschwörungstheorie, der Leugnung von Fakten, des lärmenden Lautsprechertons. Für etwas zu sein, ist ja auch viel anstrengender. Dann schon lieber gegen Corona-Abstand und vor allem – gegen Merkel. Es ist in dieser Niveaulosigkeit noch keine politische und gesellschaftliche Explosion, die geeignet wäre, einen mit wirklichem Schrecken zu erfassen. Es sind eher Demo-Übungen politischer Vorgarten-Zwerge, die allerdings je nach Stand der Sonne fürchterlich große Populismus-Schatten werfen. Es sind Vorboten einer anderen Stimmung, mit gestaltet von einem veritablen FDP-Landesvorsitzenden, dem maskenlosen Thomas Kemmerich in Thüringen. Der Kurzzeit-Ministerpräsident will nicht gemerkt haben, mit wem er da auf einer rechten Bühne stand. Nicht überraschend, gemerkt hat er schon vor Wochen nichts.
Die Verschwörung der Rechten und ihrer Mitläufer, der Merkel-muss-weg-Schreier und sogar einiger katholischer Priester bis hinauf zum Kardinalsrang: Was für ein Protest, was für Deklarationen, was für Theorien! Demokratie ist eine Haltung. Sie verkraftet das. Jedoch: Auf Andersdenkende kann man sich gut einlassen, aber nicht auf Sturköpfe und Schreihälse in der kompromisslos tumben Tonlage der Intoleranz. Richtig: Gegen den Strom zu schwimmen, ist etwas Wunderbares; denn: Wenn alle in eine Richtung rennen, wird es meistens gefährlich. Es gibt im Grundgesetz kein Gebot zur Zimperlichkeit. Widerspruch erhöht die Meinungsvielfalt und die Qualität der Diskussion.
Aber geht das mit Wutbürgern? Es wäre viel gewonnen, wenn der anklagende Ton durch eine wenigstens halbwegs sachliche Analyse ersetzt würde: ehrlich und unaufgeregt und vor allem ohne die üblichen Worthülsen, die besonders eine bestimmte Spezies in die Umlaufbahnen der Demagogie befördert. Ein frommer Wunsch? Wahrscheinlich. Leider. Ja.
Ein Gedanke zu „Verschwörung!“
Sehr geehrter Herr Prof. Mathieu, wie Sie halte ich nichts von sog. Wutbürgern, Schreihälsen, Populisten, Nationalisten und vor allem Rechtsradikalen. Entgegen Ihrer Einschätzung glaube ich aber nicht, dass das immer größer werdende Heer der Demonstranten überwiegend aus Verschwörungstheoretikern und Leugnern von Fakten besteht. Und weil ich wie Sie der Meinung bin, dass „Widerspruch …die Meinungsvielfalt und die Qualität der Diskussion“ erhöht, erlaube ich mir, aus dem heutigen „Morning Briefing“ von Gabor Steingart zu zitieren:
„Die Zivilgesellschaft muckt auf. Und das tut sie deutlich schriller, als es dem politischen Establishment in Berlin recht sein kann. Die Zeit der Schockstarre scheint vorbei. Zehntausende demonstrierten am Wochenende in Stuttgart, Berlin, München und Frankfurt am Main, begleitet von dem Vorwurf, es handele sich um Verschwörungstheoretiker und Rechtsradikale. Die Botschaften von Transparenten und Sprechchören belegen diesen Vorwurf in seiner Pauschalität nicht. …
Fakt ist, es geht um Ängste, die allein dadurch, dass sie massenhaft artikuliert werden, eine politische Kraft entfalten, die wiederum Fakten schafft. Die Restriktionen der Corona-Politik, die wie im Handstreich die Gewerbefreiheit, das Recht am Eigentum, die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht eingeschränkt haben und zum Teil noch immer tun, rufen mit Zeitverzögerung allergische Reaktionen hervor. Die etablierte Parteipolitik und ihre mediale Begleitkohorte haben die Meinungsführerschaft bei diesem Thema verloren. Immer mehr renommierte Philosophen, Ökonomen und Staatsrechtler melden sich zu Wort, die nicht Merkels bisherige Politik angreifen, wohl aber eine Fortsetzung der bisherigen Politik.“
Zitiert werden Prof. Julian Nida-Rümelin und Prof. Hans-Jürgen Papier.
Nida-Rümelin:
„Unser Leben kann nicht noch 12 oder 18 Monate so weitergehen, bis es vielleicht einen Impfstoff gibt. …Jetzt muss sie (die Politik) ihre Gesamtverantwortung für die Wirtschaft, für die Kultur und für unsere beschnittenen Grundrechte wahrnehmen und den Gesundheitsschutz im Auge behalten.“
Papier: „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Sinn und Zweck eines Verfassungsstaates in erster Linie der Schutz der Freiheit ist. … Gesundheitsschutz rechtfertigt nicht jedweden Freiheitseingriff.“
Steingart weiter:
„Eine repräsentative Umfrage der Kommunikationsberatung Kekst CNC zeigt einen Stimmungsumschwung in Deutschland an. Mittlerweile stehen demnach bei einer Mehrzahl der Bevölkerung nicht mehr allein die gesundheitlichen Implikationen des Virus im Zentrum der Betrachtung, sondern die ökonomischen und sozialen Folgen der Pandemie-Bekämpfung gewinnen an Bedeutung. Die Demonstrationen und diese Umfrage belegen vor allem zweierlei: Die Gefühlslage der Gesellschaft ist so fragil wie die ökonomische und medizinische Lage im Lande. Die Bundesregierung zahlt jetzt den Preis dafür, dass sie für mehrere Wochen den Eindruck nährte, sie singe nach den Noten der Virologen. Die parlamentarische Opposition wiederum wird bestraft, weil sie über Wochen das Opponieren einstellte und zum Nickdackel der Regierung wurde. Die aktuellen Proteste sind so gesehen die Schutzimpfung der Demokratie gegen die Ein-Positionen-Herrschaft.
Es sticht und schmerzt – aber hilft hoffentlich.“