OB Philipp und die engen Grenzen. Seine persönliche Bilanz.
Erstaunlich, was er auf manche Fragen antwortet. Das ist eine Mischung aus Kritik und gewiss auch Selbstkritik. Kurzum: Der Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) hat sich in den elf Jahren seiner Tätigkeit im Rathaus in „engen Grenzen“ gesehen, hätte sich von der Verwaltung gelegentlich mehr Tempo gewünscht, fühlte sich von einer Politik, die sich in „endlosen Schleifen“ bewege, manchmal in den „Wahnsinn getrieben“. Die massive Kritik an den Zuständen in der Innenstadt hält er für „vollkommen berechtigt“. Die größte Baustelle sieht er am Bushof: „Wir können es uns nicht leisten, hier 15 Jahre nur zu planen. Ich bin dafür, dass wir anfangen und Fakten schaffen.“ Und zum Büchel: „Prostitution gehört da nicht hin.“ Das Verhältnis zu seiner Fraktion beschreibt er so: „Bei der Wahrnehmung ihrer Rolle ist die Fraktion zu anderen Ergebnissen gekommen.“ Und er sagt im Zusammenhang mit der Campusbahn: „Das Gemeinwohl ist nicht so ausgeprägt wie ich einmal vermutet hatte.“ Mein Interview mit ihm, erschienen im Monatsmagazin BAD AACHEN, September-Ausgabe, im Wortlaut:
Was ist das Schönste am OB-Amt?
Es ist die Möglichkeit, die Entwicklung der Stadt über Jahre zu prägen durch die Prioritäten, die man selber in der Amtsführung setzt. Besonders schön ist es natürlich, wenn daraus Erfolge entstehen, die auch wahrgenommen werden. So ist zum Beispiel der Zusammenhalt der Gesellschaft beeinflussbar und spürbar, wenn man sich darum bemüht und persönlich für eine Haltung steht. Aber auch die Zukunftsfähigkeit der Stadt als Hochschulstandort und Reallabor für neue Technologien, Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist ein Feld, in dem das Amt des Oberbürgermeisters die Richtung der Stadt maßgeblich beeinflussen kann.
Was ist denn weniger schön, mal ehrlich…?
Die Macht des Amtes hat trotz großer Gestaltungsmöglichkeiten enge Grenzen. Manches dauert in der Umsetzung viel länger als man möchte.
Wer blockiert denn da, wer setzt die engen Grenzen?
Ich möchte keine Schuldzuweisung machen. Darum geht es nicht. Es gibt zu viele Ansprüche, die sich gegenseitig blockieren.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel innerhalb der Verwaltung. Sie hat in erster Linie nicht Geschwindigkeit im Kopf, sondern Gründlichkeit. Das ist ja auch nicht falsch. Dennoch wäre es manchmal schöner, die Zeit als Faktor höher zu bewerten. Und die Politik bewegt sich oft zu sehr in endlosen Schleifen, das kann einen manchmal in den Wahnsinn treiben.
Prioritäten Ihrer Amtszeit waren…
Prioritäten muss man mit einem ganzheitlichen Blick auf die Entwicklung der Stadt sehen. Wo hat sich die Stadt positiv und wo weniger erfolgreich entwickelt? Die Ausstrahlung der Stadt durch große Veranstaltungen und Themen hat sich weiterentwickelt. Das gilt auch für die Rolle als Hochschulstadt, da haben wir uns weiter profiliert.
Was meinen Sie konkret mit „Veranstaltungen und Themen“?
Beim Karlspreis ist es uns gut gelungen, eine deutlich bessere Resonanz zu erzielen, obwohl wir jedes Jahr schwierige Diskussionen hatten. Aber die positive Wahrnehmung des Karlspreises ist deutlich höher geworden. Ein schönes Format ist auch das Graduiertenfest der RWTH und vermittelt ein gutes Bild für die Kooperation zwischen Stadt und Hochschulen. Und auch beim CHIO sind wir in einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Und die Stadt ist ein lebendiger Ort für Begegnung und Event, da beneiden uns andere Städte.
Aber wesentlich mehr Menschen reden doch über die Situation in der Innenstadt, über Leerstände, Bettelei, Verunreinigung, ziehen Vergleiche mit einer Stadt wie Maastricht.
Das stimmt. Die Kritik ist vollkommen berechtigt.
Sagt der Oberbürgermeister!
Ja, die Aufgabenstellung ist permanent vorhanden, sie gab es unter anderen Vorzeichen auch vor 20, 15 und 10 Jahren. Vieles in der Innenstadt haben wir als Problem selber geschaffen, und da hat es keine endgültige Problemlösung gegeben. Manches bleibt ein dickes Brett, leider. Zu Beginn meiner Amtszeit war das größte Problem die Situation am Kaiserplatz, der war damals in aller Munde. Er ist immer noch eine Baustelle, aber eine kleinere als vor elf Jahren.
Wo sehen Sie derzeit und in naher Zukunft die größte Baustelle?
Eindeutig beim Bushof. Dort besteht eine der größten Herausforderungen für die Stadt. Zunächst einmal werden wir durch die neue gemeinsame Anlaufstelle von Ordnungsamt und Polizei eine maximale Präsenz ermöglichen. Und was die bauliche Planung betrifft, so habe ich mich sehr dafür eingesetzt, eine zeitlich überschaubare Diskussion hinzukriegen. Ich musste dabei feststellen, dass nicht jeder schnell vorwärts geht oder gehen will.
Das klingt fast schon etwas resignativ.
Nein. Es ist nur eine Feststellung. Bei der Funktion des Bushofes als Verkehrsknotenpunkt an dieser Stelle habe ich eine andere Position als die Aseag. Der Bushof ist vor allem eine Frage des Städtebaus, und ein großer Teil der Gebäude muss abgerissen werden. Wir können es uns aber nicht leisten, hier 15 Jahre nur zu planen. Ich bin dafür, dass wir anfangen und Fakten schaffen. Der Bushof wird die eigentliche Großbaustelle der Politik für die kommenden Jahre. Wir hätten längst viel weiter sein können.
Eine andere Baustelle ist und bleibt der Büchel.
Ja. Auch der Büchel beginnt doch mit einer Grundsatzentscheidung, und da hat es im Umgang mit der Prostitution fehlenden Mut gegeben. Es war ein Fehler, darüber einen Schutzschirm zu spannen. Prostitution gehört da nicht hin.
Sie haben sich sehr für die Vielfalt der Kulturen und ihre Menschen, die hier in Aachen leben, eingesetzt. Das hat Ihnen wahrscheinlich nicht nur Freunde gebracht, oder?
Gegen Rechtspopulismus oder gar Rechtsextremismus habe ich mich persönlich nicht erwehren müssen. Es gab einige Briefe und E-Mails, aber nie ein wirkliches Problem. Die vielfältige Kultur unserer Stadt genieße ich sehr.
Wer hat Sie besonders beeindruckt?
Ich durfte sehr viele Menschen kennenlernen, die sich auf die verschiedenste Weise ehrenamtlich engagieren und die oft eine tiefe Verwurzelung mit der Stadt entwickeln. Beeindruckend finde ich dabei den Mix aus der Pflege uralter Aachener Traditionen einerseits und der großen Bereicherung, die in vielen Bereichen durch Menschen unterschiedlichster Kulturen entstehen.
Und wer oder was hat Sie besonders geärgert?
Niemand, der mich geärgert hat, hätte es verdient, an dieser Stelle Erwähnung zu finden.
Sie sagen selber, dass das OB-Amt enge zeitliche Grenzen setzt. Das hat auch mit den vielen Repräsentationsterminen zu tun. Waren sie letztlich eine Last?
Wer das nicht gerne macht, sollte sich nicht für ein solches Amt bewerben und es ausführen. Natürlich hinterlässt die zeitliche Belastung ständiger Präsenz Spuren. Jeder Job außer dem des OB lässt mehr persönliche Freiheiten. Das ist meine Erfahrung nach elf Jahren.
Was ist in Ihnen in dieser Zeit nicht gelungen? Ein Stichwort ist die Campusbahn, die im Bürgerentscheid abgelehnt wurde, was ist da schief gelaufen?
Diese Entscheidung war für mich eine richtige Ernüchterung. Ich hatte damit so nicht gerechnet. Die meisten Menschen schauen am Ende sehr auf ihr eigenes kleines Umfeld, und wenn sie das Gefühl haben, dass sie von einem Projekt wie der Campusbahn nicht selber profitieren, dann wollen sie auch nicht mit ihren Steuergeldern dafür bezahlen. Das Gemeinwohl ist nicht so ausgeprägt wie ich einmal vermutet hatte.
Schwierig hat sich zuweilen auch das Verhältnis zu Ihrer eigenen Fraktion, der CDU, gestaltet. Kann man von einem Zerwürfnis reden?
Nein, ein Zerwürfnis gibt es nicht. Richtig ist jedoch, dass es in einigen durchaus wesentlichen Punkten unterschiedliche Herangehensweisen gegeben hat. Grundsätzlich hat es in der Zusammenarbeit mit der Fraktionsführung gegenseitiges Vertrauen gegeben. Aber es war immer klar, dass Fraktionsführung und Oberbürgermeister eigene Rollen haben. Und bei der Wahrnehmung ihrer Rolle ist die Fraktion zu anderen Ergebnissen gekommen. Das akzeptiere ich.
Und nun, Herr Oberbürgermeister?
Schon seit 2017 habe ich mich immer wieder einmal mit der Frage beschäftigt, was für mich nach diesem immer auf Zeit vergebenen Amt kommen könnte. Dabei ist der Wunsch immer größer geworden, noch einmal etwas Neues zu starten, in agilen Strukturen, mit mehr Freiheiten und weniger öffentlicher Präsenz. Demnächst berichte ich gerne mehr, aber noch steht das Amt des Oberbürgermeisters im Vordergrund. In den nächsten Wochen gibt es im Rathaus noch viel zu tun. Auch danach werde ich nicht die Füße hochlegen, weil ich ja mit meiner nächsten beruflichen Etappe nicht in Rente gehe.
Wie beschreiben die elf Jahre als OB im Rückblick?
Ich empfinde diese Zeit als großes Geschenk und als tolle Möglichkeit zu tun, was nicht jeder tun kann oder darf. Diese unglaublich vielen Erfahrungen, auch der Umgang mit Macht, sind für mich eine große Bereicherung, und ich blicke mit Dankbarkeit darauf zurück.
Werden Sie etwas vermissen?
Ganz bestimmt, aber ich werde mich mehr an die Dinge erinnern, die gut gelaufen sind.
Foto: Bernd Mathieu
2 Gedanken zu „OB Philipp und die engen Grenzen. Seine persönliche Bilanz.“
Die Baustelle Kaiserplatz ist nicht kleiner geworden, finde ich. Es sind weitere Baustellen dazugekommen und manche sind gewachsen, sodass die Baustelle jetzt im Verhältnis zu den anderen nicht mehr so groß erscheint.
Schade, dass er geht.