Gorbi, sein Satz, sein Humor, unser Interview
Am 2. März wird er 90 Jahre alt: Michail Gorbatschow. Ich habe eine ganz persönliche Erinnerung an meine Begegnung mit ihm – ein Höhepunkt in meiner journalistischen Laufbahn. November 2008: Wir saßen in einem kleinen Raum im Kasteel Erenstein in Kerkrade: der ehemalige Präsident einer Weltmacht, seine Dolmetscherin und ein Journalist aus Aachen. Ich hatte die einzigartige Gelegenheit, eine Stunde lang exklusiv mit Michail Gorbatschow zu sprechen. Was für ein Geschenk! Es entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch über Zeitgeschichte und aktuelle Politik. Der Friedensnobelpreisträger erhielt am Abend dieses Tages die Martin-Buber-Plakette. Die Interview-Passage über einen berühmten Satz und Gorbatschows Staatsbesuch in den letzten Tagen der DDR lesen Sie hier:
Es gibt diesen berühmten historischen Satz „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Es wird immer wieder und immer noch spekuliert, ob Sie diesen Satz so gesagt haben oder ob er Ihnen von Ihrem damaligen Berater Gerassimow quasi nur zugesprochen wurde? Wie war es wirklich?
Gorbatschow (lacht) : Also: Ich habe das schon so gesagt! Ich wollte damals keine direkten Forderungen an unsere Freunde aus der DDR-Führung stellen. Ich habe ihnen vielmehr von unserer Perestroika erzählt und ihnen gesagt, dass es Situationen gab, in denen wir zu spät kamen und das Leben uns dafür bestraft hat. Das habe ich im Politbüro der SED so geäußert. Das schließt ja nicht aus, dass Gerassimow das auch so gesagt hat.
Wie haben Sie diese beiden Tage, den 6. und 7. Oktober 1989, in Ostberlin in Erinnerung?
Gorbatschow: Natürlich erinnere ich mich vor allem an diese Demonstrationen der Menschen. Es waren viele Jugendliche, das waren Vertreter von allen 28 Bezirken der damaligen DDR, junge Leute mit lauten Stimmen! Und Honecker stand da und hat das als Unterstützung für sich wahrgenommen. Aber sie hatten ihre Transparente dabei, auf denen etwas ganz Anderes stand, sie hatten völlig andere Ideen. Und es gab natürlich eine direkte Ansprache an mich: Gorbi, bleib bei uns, hilf uns! Der damalige polnische Premierminister stand neben mir und fragte mich, ob ich Deutsch verstehe. Ich habe ihm geantwortet: Was sie da skandieren und was auf den Transparenten steht, ja, das verstehe ich schon ganz genau! Aber das ist doch das Ende, antwortete er.
Und Erich Honecker, wie reagierte der?
Gorbatschow: Honecker stand wippend neben uns. Ich hatte das Gefühl, dass er sich irgendwie in Trance befinden musste, dass er nicht ganz da war. Gegen Ende der Existenz der DDR hat Honecker schwerwiegende Fehler begangen. Die DDR war innerhalb des Warschauer Paktes das am meisten entwickelte Land, das bei einer kompetenten Führung viele Möglichkeiten gehabt hätte. Wäre es so gewesen, hätte sich die deutsche Wiedervereinigung wahrscheinlich anders entwickelt. Die DDR hat das jedoch verpasst zu einem Zeitpunkt, als in Osteuropa, vor allem natürlich bei uns in der Sowjetunion, die Revolution und die Veränderungen bereits stattgefunden hatten. Wir haben uns nirgendwo eingemischt, das war unser Prinzip. Und alle wussten auch Bescheid, dass wir uns nicht einmischen würden. Bei unseren Zusammenkünften habe ich gesagt: Ihr seid die Führer, ihr seid zuständig und ihr seid verantwortlich, wir halten uns da raus. Und das war doch klar: Nicht nur die Deutschen im Westen wollten die Wiedervereinigung,die im Osten auch.
Sie sind nicht das erste Mal hier in dieser Region.
Gorbatschow: Das erste Mal war ich 1972 hier in der Gegend, ein Besuch in Belgien. Vieles hat mich damals sehr beeindruckt und auch überrascht. Es gab den Vorschlag, einen Ausflug nach Amsterdam zu machen. Was glauben Sie, was das für ein Gefühl für mich war, plötzlich von einem Land ins andere zu fahren, einfach so, ohne Kontrolle von Belgien nach Holland! Ich habe meine Begleiter gefragt: Wann überqueren wir denn die Grenze? Der Fahrer hat geantwortet: Wir haben sie längst passiert. Und da habe ich spontan gesagt: Es ist schon wahr, dass der Kapitalismus total morsch ist, sie haben nicht mal eine ordentliche Grenze!
Ein Gedanke zu „Gorbi, sein Satz, sein Humor, unser Interview“
Lieber Bernd Matthieu
vielen Dank für die Erinnerung an diese besondere Begegnung.
Es ist nur schade, dass der Einsatz von Gorbatschow und seine Ideen nichtig Russland gewürdigt wurden