„Ein phantasieloses Weiter-so“
Wer beeinflusst eigentlich wen in diesen Corona-Tagen? Die Medien die Politik, die Politik die Medien, die Öffentlichkeit die Politik, die Medien die Öffentlichkeit, die Virologen die Politik, die Medien die Virologen, Markus Lanz Karl Lauterbach, Karl Lauterbach Anne Will? Grenzen verschwimmen, und da soll Jens Spahn vor lauter Masken, Impfstoffen, Schnelltests, Terminen, Fristen, voreilig gegebenen und schnell gebrochenen Versprechen den Überblick nicht verlieren?
Die Hausärztinnen und Hausärzte fordern seit Tagen vehement „bürokratische Entlastungen“. Ob sie das angesichts der Rat- und Hilflosigkeit von Bundesregierung und Gruppe 16 (die Landeschefinnen und -chefs) ernst meinen? Also: mit ernstgemeinter Hoffnung verbinden? Um neben der Versorgung der Patienten auch „die Impfungen und zusätzliche Testungen stemmen zu können“, müsse jeglicher vermeidbare Aufwand wegfallen, sagt der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, gegenüber der Funke Mediengruppe.
Wie man einen solchen Aufwand nach fast zehnstündigen Beratungen vermeidet, beweist eindrucksvoll das DIN-A4-Blatt, das nach dem Krisen-Marathon von Deutschlands politischer Elite präsentiert wurde: unübersichtlich, unverständlich, unfassbar. Deutschland, das Land der digitalen Weltmeister, setzt auf Zettelwirtschaft. Das entspricht dem Niveau der aktuellen und leider nur scheinbaren Pandemie-Strategie.
Trotz der nach wie vor schlechten Perspektiven Deutschlands und der EU im tiefen Tabellenkeller weltweiter Impfungen pro Einwohner wird uns unverdrossen suggeriert, alles sei so geplant, so beabsichtigt, so in Ordnung. Da fallen historische Sätze, die man aus dem Mund einer veritablen historischen Persönlichkeit nicht erwartet: „Wir geben politisch einen Puffer, weil wir auf die neuen Testmöglichkeiten vertrauen“, sagt Angela Merkel. Noch besser: „Wir haben die zweite Welle – kann man sagen – besiegt, und die dritte Welle rollt.“ Derartige Rhetorik bleibt Markus Söder als Alleinstellungsmerkmal vorbehalten.
Hinter der Fassade der zähen Verhandlungen der Kanzlerin mit den Landesfürsten und der übermüdeten Akteure in den nachgeschobenen Pressekonferenzen gab es massive, teilweise sogar persönliche Auseinandersetzungen. So stellt man sich verantwortungsbewusstes, professionelles Management einer großen Industrienation nicht vor. Politik als Inszenierung, das passt nicht zu einer derart heftigen Krise, die neben allen schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen wirtschaftliche Existenzen vernichtet und Kultur zur hoffnungslosesten Nebensache der Welt degradiert.
Zum Corona-Drama hat sich längst ein Politik-Drama gesellt. Die Versäumnisse, die Beschönigungen, die immer wiederkehrenden Störfälle sind geeignet, Vertrauen zu verspielen, wo es mehr denn je nötig wäre. „Deutschland trippelt mit viel Rechenschieberei einem unvorhersehbaren Ende der Pandemie entgegen“, spottet die Neue Zürcher Zeitung. Und weiter: „Ein phantasieloses Weiter-so. Wer seine Politik nur an Inzidenzwerten ausrichtet, hat jeden Gestaltungswillen verloren.“
Zudem haben wir jetzt quasi mit der Holzhammer-Methode begreifen müssen, dass Deutschland die digitale Revolution nicht als Herausforderung für kluges politisches Handeln verstanden, sondern verschlafen hat. Die sich seit Jahrzehnten entwickelnde und nicht plötzlich vom Himmel fallende Mutation des Industriekapitalismus zum digitalen Kapitalismus, die Globalisierung der Wirtschaft und die meistens rechtslastige Re-Nationalisierung der Politik standen in krisenfreien und guten Zeiten zu selten auf der Agenda.
Deutschland gehört zu den Modernisierungsverlierern. Manche fordern angesichts des entglittenen Krisenmanagements eine bessere Regierung. Das ist berechtigt. Aber: Wo soll die herkommen?
Ein Gedanke zu „„Ein phantasieloses Weiter-so““
Es würde ja schon viel bringen, wenn die Wähler dieses Schmierentheater erkennen würden. Es ist völlig egal, wer die politische Verantwortung in diesem Land vom Wähler übertragen bekommen soll, schlechter als die derzeitigen Akteure der GroKo können die es auch nicht machen.