Das Wertpapier der Sprache
Gerade raus aus der Videokonferenz. Sie hat den Nachteil fehlender physischer Nähe. Aber im kleinen Kreis nicht den Nachteil kommunikativer Nähe. Jedenfalls nur bedingt. Man kommt schneller, konzentrierter, inhaltlich relevanter zusammen. Meine Erfahrung.
Andererseits: Die unterhaltsamen rhetorischen Abwege – oft weit weg vom eigentlichen Thema – sind doch gerne erlebte Aperçus jeden Alltags. Die Fußnoten des Dienstlichen. Die kleine erlaubte Kür jenseits aller Pflichten. Sie fehlt – digital steht sie auf verlorenem Posten.
Das Wertpapier der Sprache steht auch digital hoch im Kurs. Das wird unabhängig von Corona-Einbrüchen bleiben.
Manche hatten es natürlich erwartet (sagen sie heute!): Die Pandemie-Krise beschert dem Tageszeitungs-Journalismus schöne Zahlen: neue Nutzerinnen und Nutzer, die sich seriös informieren wollen in dem Wust wahrer und unwahrer Ankündigungen, eingehaltener und nicht eingehaltener Versprechungen, im Dickicht von Talk-Gedöns und in den großen und selten artigen Worten der Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, der sie ebenso unverdrossen wie unkritisch begleitenden Claqueure und, gar nicht zuletzt, in der oberflächlichen Welt der Einmischungen von anscheinend immer mehr prognostizierenden Umfragepäpstinnen und –päpsten.
Kurzum: Der Mensch sucht in diesen Zeiten der grassierenden Bedeutungsschwere etwas Bodenständiges. Die Nutzerrekorde in den Online-Angeboten der Zeitungen und des Fernsehens sind deshalb kein Zufall. Und sie sind erfreulich. Das muss doch einmal gesagt werden, liebe Leserinnen und Leser, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Shutdown, Lockdown, FFP2-Maske, Inzidenz lauten die Beispiele neu erlernter Alltagssprache. Ja: Zum Alltag gehört auch, dass wir jetzt allmählich zurückkehrende Freiheiten als Geschenk empfinden, als Großzügigkeit. Sie sind aber die Normalität. Sie eine Zeitlang nicht gehabt zu haben, ist der Hinweis auf ihre Großartigkeit, die wir Demokratie, Rechtsstaat und Freizügigkeit nennen. Sie sind ein Schatz, den wir wertschätzen sollten – nicht nur wegen der Erfahrung mit der ordnungspolitisch vorgeschriebenen wie nötigen pandemischen Enthaltsamkeit.
Die Pandemie hat es geschafft, Debatten unserer Neueren Geschichte in den Schatten des Vergessens zu rücken: die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise, zeitweise sogar die Klimakrise. Wie wird sich das mit der Schuldenkrise, die da ist und noch lange da sein wird, entwickeln? Mit unserer Verantwortung für nachfolgende Generationen! Ach, das könnte ein gutes Wahlkampfthema sein. Die Ungewissheit wird uns begleiten. Und kein Umfrageinstitut wagt eine Prognose. Das Thema ist zu heikel. Bitte nicht stören!