Der Maler und seine klugen Bilder. Gerhard Richter zum 90. Geburtstag.
An diesem Mittwoch wird er 90. Ein runder Geburtstag. Ein besonderer Geburtstag eines besonderen Menschen: Gerhard Richter. Vor wenigen Jahren hatte ich die seltene Gelegenheit, ihn in seinem Atelier in Köln-Hahnwald zu besuchen. Hier in der Retrospektive aus Anlass des Geburtstages ein Auszug aus dem langen Interview mit dem Künstler.
Nervös? Gespannt? Gelassen? Wie geht man dahin? Dahin: zu Gerhard Richter. Zu diesem gefeierten, geschätzten, respektierten, bewunderten großen Künstler. Zu dieser berühmten Persönlichkeit der thematischen Vielfalt und faszinierenden Genres, der künstlerischen Exzellenz, des persönlichen Formats. Wenn man über ihn liest, und über ihn ist viel zu lesen (Gescheites wie Oberflächliches), dann glaubt man zu wissen, er sei nicht nur betont zurückhaltend, sondern nahezu scheu. Glaubt man.
Gerhard Richter besitzt in der internationalen Szene den Ruf eines Weltstars und die Aura einer Ikone. Nicht nur wegen der Auktionspreise, sondern wegen seiner ART zu malen. Und diese ART kann nur in unübersehbaren Versalien in die Umlaufbahnen unserer hektischen Welt entlassen werden. Richters Kunst verglüht nicht. Sie ist da. Sie glänzt. Sie wird bleiben. So schön, so glänzend.
Köln, das Atelier. „Gerhard Richter“ steht auf dem Schild der Gegensprechanlage. Richters Mitarbeiterin öffnet die beiden Haustüren, und wir werden freundlich begrüßt – zuerst von Hund Leica, dann von Gerhard Richter. Der Künstler: offener Blick, freundliche Geste, gutes Klima.
Gerhard Richter mag die Musik des Komponisten John Cage, er schätzt diesen extraordinären Amerikaner, der die neue Musik des 20. Jahrhunderts geprägt und zu dessen inspirierenden Klängen der Maler in seinem Atelier gelegentlich arbeitet. Richters Cage-Zyklus, sechs großformatige Leinwände, waren unter anderem bei der Biennale in Venedig und in der Tate Modern in London zu sehen. Es gibt seit 2011 eine bemerkenswerte CD mit Musik von Cage und Bach, gespielt von dem luxemburgischen Pianisten und Komponisten Francesco Tristano. Gerhard Richter freut sich über die mitgebrachte Scheibe, das sei ja fast wie Weihnachten, sagt er mit aufmerksamer Höflichkeit. Und tatsächlich: Auf einem Sideboard eines Atelierraum liegen einige Cage-CDs.
Wann haben Sie den Satz „Meine Bilder sind klüger als ich“ zum ersten Mal formuliert?
Gerhard Richter lacht kurz. Dann antwortet er: „Das weiß ich nicht mehr.“ Der Satz habe sich nie auf ein bestimmtes Bild bezogen. „Sondern grundsätzlich.“
Wir reden über seine Heimatstadt Dresden, die Zerstörung der Stadt, das dramatische Schicksal der Familie. Über Krieg und Gewalt. Ich erwähne das Bild „Acht Lernschwestern“. Sie wurden von einem Massenmörder in Chicago auf bestialische Weise umgebracht. Gerhard Richter hat sie porträtiert, Grundlage dafür war ein Zeitungsausschnitt.
Was fasziniert Sie daran, solche Menschen zu malen?
Gerhard Richter: „Bei den acht Lernschwestern war ein Aspekt, der mich faszinierte, dass man diesen Porträts nicht ansieht, dass die Frauen tot sind – es sind Bilder aus ihrem Schwesternpass – und sie trotzdem so tragisch wirken. Und dazu gehört der Titel. Ohne Titel ist ein Bild nichts.“ Viele seiner Bilder haben keinen Titel.“ Richter: „Aber ich habe so gut wie noch nie geschrieben: Ohne Titel. Dann heißt es wenigstens: Abstraktes Bild.“ Nie wollte er auf irgendeine Schiene geraten, sagt er. Deshalb hat er ein Bild mit der weinenden Jackie Kennedy „Frau mit Schirm“ genannt. Polit-Maler oder „Irgend-so-Etwas“ – nichts für Gerhard Richter!
Es gibt viele Typen von Frauen, sie Sie gemalt haben, Ihre Tante, Ihre Tochter, Ihre Frau, die Lesende, die englische Königin, Jackie Kennedy, welche Rolle spielen diese Frauen in Ihrem künstlerischen Leben?
Gerhard Richter: „Ich bin ein Mann. Ich steh‘ auf Frauen.“ Er lacht, klar lacht er da.
Und wie war das bei den acht ermordeten Lernschwestern?
Gerhard Richter: „Die waren in der FAZ abgebildet. Ich hatte die acht Fotos in meinem Atelier hängen, einfach so. Ein Journalist hat mir gesagt: Die musst du anders hängen, die müssen immer nach innen gucken. Eine schöne, simple, gute Lehre. Deshalb hat das Bild eine solche Wirkung.“
Wir reden über seinen Auszug aus der DDR 1961. Die Reise in den Westen. „Es reichte. Ich wollte erwachsen werden.“ Unabhängig. Ohne Bevormundung.
Was schätzen Sie, wie viele Bilder Sie damals zurückgelassen haben?
Gerhard Richter: „Es sind viele, 600 vielleicht, inklusive Zeichnungen.“
Was ist mit denen passiert?
Gerhard Richter: „Einige sind aufgetaucht. Viele wurden damals beschlagnahmt oder gestohlen. Später sind einige davon in den Kunsthandel gekommen, und jetzt habe ich das alles dem Dresdner Archiv geschenkt, denn eigentlich bin ich rechtlich noch der Eigentümer. Mir war vor 20 oder 30 Jahren ein ganzer Packen angeboten worden für 25.000 DM. Verrückt!“ Er sollte seine eigenen Bilder kaufen.
Gab es bei den verschiedenen Stilen Ihres Gesamtwerkes Zäsuren, oder haben Sie stets evolutionäre Übergange gefunden?
Gerhard Richter: „Ein Grund dafür, weshalb ich ganz früh damit angefangen habe, die Werke in Listen einzuordnen, ist, dass ich kapieren wollte, was ich da eigentlich mache. Das war die Hauptzäsur. Epochen? Nein. Sagen wir so: Ich wollte kein Spezialist werden.“
Auch durchaus normale Menschen ordnen die Welt in Schubladen ein. Ist Ihnen das völlig fremd?
Gerhard Richter: „Mache ich auch. Im Ernst: Bestimmte Phasen gibt es so streng bei mir nicht. Vieles ist ja auch wieder zurückgekommen.“
„Das Jahrhundert der großen Sprüche“
Den schönen Satz, dass seine Bilder klüger seien als er, lassen wir stehen, möge ihn jeder für sich interpretieren. Gerhard Richter amüsiert das. Aber es gibt einen weiteren Standardsatz. Den hat er von John Cage: „Ich habe nichts zu sagen, und das sage ich.“ Richter nennt das einen „wunderbaren Satz“. Warum findet er ihn so wunderbar? Nun kokettiert er ganz offensichtlich: „Wir wissen alle nichts, ich besonders wenig wahrscheinlich, ich hab‘ ja nicht mal Abitur.“ Die Wahrheit sagen: Das ist ihm wichtig.
Das 20. Jahrhundert hat der große Maler als ein „Jahrhundert der großen Sprüche“ bezeichnet. Und er hoffte, im neuen Jahrhundert sei das nun endlich anders und es zähle nur, was realisiert werde. Da muss er jetzt reichlich desillusioniert sein, oder? „Ja.“
Wie politisch sind Sie?
Gerhard Richter: „Ich bin interessiert. Ich sehe Vieles mit Erschrecken und Erstaunen.“
Sie mischen sich aber mit Ihrer Kunst ein.
Gerhard Richter: „Das hat wenig Wirkung.“
Der Baader-Meinhof-Zyklus hatte keine Wirkung? Der war hochpolitisch und provokativ, vor allem für bürgerliche Kreise.
Gerhard Richter: „Für die anderen auch, links gab es nämlich eine viel größere Aufregung.“
Wir sprechen, in Köln, natürlich das Domfenster an. Das Fenster, das der Kardinal gar nicht mochte, aber ertragen musste, weil das Domkapitel es unbedingt und gegen den Willen des Erzbischofs haben wollte. Hat ihn das amüsiert, eher gewundert oder sogar geärgert?
Wie verfolgen Sie solche typisch rheinisch-katholischen Debatten?
Gerhard Richter: „Ernstgenommen habe ich nur die Meinung von Kardinal Meisner, und sie ist völlig richtig: Es ist kein katholisches Fenster. Dass er allerdings gesagt hat, es könne auch in einer Moschee sein, das stimmt nicht. Die würden mich gar nicht nach so etwas fragen. Aber ich finde es ganz großartig, dass sich die Dombaumeisterin und diese Kommission darauf eingelassen haben.“
Eine Verbindung zu Aachen ist einer Ihrer ersten Lehrer an der Kunstakademie Düsseldorf, K.O. Götz. Was hat er Ihnen vermittelt?
Gerhard Richter: „Er war kein Demagoge, er hatte keine Ideologie, er hat mir nicht vorgeschrieben: ,So musst du das machen!‘, sondern ließ mir Freiheiten.“
Gerhard Richter hat mehrmals betont, dass er keine Kunst sammelt. Er geht ins Museum, schaut sie sich an. Und das war es dann. Zum Kunstbetrieb, den er so enorm beeinflusst, wahrt er eine gewisse Distanz. „Weil er erschreckt und weil er unfasslich geworden ist. Bei mir stapeln sich die Auktionskataloge, das hat es früher überhaupt nicht gegeben. Früher waren da nur tote Künstler, heute ist da jeder junge Typ schon drin. Mit Qualität hat das nichts mehr zu tun, nur noch mit Geld. Der Markt ist gemacht und hochgepuscht.“
Wenn Sie diese rasante Entwicklung sehen, dann ist es Geschäft, Wertanlage. Haben Sie ein ambivalentes Verhältnis dazu: Auf der einen Seite ist es eine tolle Wertschätzung, wenn man so hohe Preise wie Sie erzielt, auf der anderen Seite eine Ware auf einem Markt?
Gerhard Richter: „Ich ärgere mich nur, wenn ein schlechtes Bild viel Geld bringt.“
Dann sind Sie nicht betroffen, von Ihnen gibt es keine schlechten Kunstwerke.
Gerhard Richter: „Doch, die gibt es auch.“
hr Mailand-Bild hat einem Sammler 21 Millionen Dollar gebracht. Sie haben sich darüber gewundert, weil, so Ihre Einschätzung, das keines Ihrer „guten Bilder“ war.
Gerhard Richter: „Stimmt, das gehört nicht zu den besten.“
Also hätten Sie dem Käufer vom Kauf abgeraten?
Gerhard Richter: „Ich habe schon vielen abgeraten.“
Er lobt seine Galeristin, die den Verkauf seiner Bilder wie ein Priester zelebriere. „Ich staune.“ Das System betrachtet er eher skeptisch. Den Kunstmarkt verfolgt er „von mir aus überhaupt nicht“. Welche Künstler schätzt er besonders? Drei Namen nennt er sofort: „Vermeer. Caspar-David Friedrich. Manet.“ Zeitgenossen lieber nicht? „Die ganz Jungen nicht, da sehe ich – bis auf wenige Ausnahmen – überhaupt nichts mehr.“ Und Leipzig, Neo Rauch? „Der ist sehr talentiert.“
Der überhitzte Kunstmarkt: Was, wenn eines Tages die Preise rapide fallen? Ließe Sie das kalt, wenn plötzlich eines Ihrer Bilder nicht mehr 41, sondern nur 38,5 Millionen Euro erzielte?
Gerhard Richter: „Oder nur 4100 Euro. Ich male Bilder, weil mir das ein Bedürfnis ist, und wenn ich Geld daran verdiene, ist es auch gut.“
Öffentlichkeit mag er nicht, er schätzt viel lieber Zurückhaltung. Nicht nur bei sich selber. Über das zur Schau getragene Selbstbewusstsein mancher prominenter Kollegen wundert er sich. Wir bedanken uns für einen außergewöhnlichen Nachmittag mit einem außergewöhnlichen Künstler. Ach so: Dürfen wir Fotos im Atelier machen? Gerne. Danke, Gerhard Richter, für die Zeit und das Gespräch heute. Und die hohe Kunst. Ihre.
Und heute aktuell: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Fotos: Bernd Mathieu