„Wir sind wirklich happy!“
Sie freuen sich auf das Aachener Reitturnier und tragen zum ersten Mal die Verantwortung nach der langen Frank-Kemperman-Ära: Birgit Rosenberg und Philip Erbers sind die neue Doppelspitze des ALRV-Vorstands.
Frau Rosenberg, Herr Erbers, zum ersten Mal haben Sie jetzt nach Frank Kempermans Abschied die „1a-Verantwortung“ für das Turnier. Wie ist Ihre persönliche Stimmungslage – ist das Anspannung, Vorfreude, Nervosität, Hektik oder eine Mischung von allem?
Erbers: Willst du anfangen, Birgit?
Rosenberg: Ja, bei mir ist es tatsächlich eine Mischung aus all dem, was Sie gesagt haben, das trifft es perfekt. Ich fühle mich absolut gut vorbereitet, bin seit 20 Jahren ja auch schon hier und hatte das große Glück, mit Herrn Kemperman sehr, sehr intensiv das Turnier in der bisherigen Rolle mit zu leiten. Aber klar: Das ist jetzt noch einmal eine andere Situation, eben von der 1b- in die 1a-Verantwortung. Die operativen Aufgaben nehmen eher ab, dafür steht man viel stärker in der ersten Reihe. Anspannung ist wichtig und gehört dazu.
Das kann durchaus positiv sein.
Rosenberg: Genau, das sind zehn anstrengende Tage, aber letztlich gibt es ganz viel Vorfreude!
Erbers: Was das Stimmungsbild angeht, hat Birgit schon alles beantwortet. Ich sehe das hundertprozentig genauso. Ich durfte mit Frank Kemperman im vergangenen Jahr intensiv zusammenarbeiten, Er hat immer gesagt, ich sei sein Baby, das er neun Monate mit sich trägt.
Wer hat Sie entbunden?
Erbers: Auch Herr Kemperman! Der ist Allrounder. Ich durfte ihn sehr eng begleiten, aber das ist dieses Jahr etwas Anderes. Da sind viele Dinge, die kurzfristig entschieden werden müssen, spontan zu treffen. Ich spüre eine riesige Unterstützung von unserem Team, gehe frohen Mutes in das Turnier und bin mir sehr sicher, dass wir absolut gut vorbereitet sind.
Sie müssen viele kleine Dinge beachten, zum Beispiel?
Erbers: Da geht es runtergebrochen bis zur Positionierung von einzelnen Gegenständen auf dem Gelände oder kurzfristig ändert sich oder passiert etwas, wie etwa im vergangenen Jahr der Wassereinbruch in der Albert-Vahle-Halle. Da war ich froh, dass es im letzten Jahr passiert ist und nicht in diesem, weil ich sehen konnte, wie Frank Kemperman das in der Praxis organisiert und koordiniert.
Wer hatte die Idee zur Doppelspitze?
Rosenberg: Der Verein und die Veranstaltung haben eine Größe erreicht, die das notwendig macht. Alleine ist das nicht mehr zu stemmen. Auch bei Frank Kemperman gab es mit Helen Rombach-Schwartz schon diese Doppelspitze. Für uns war es deshalb völlig klar, dass wir im ähnlichen Format gleichberechtigt weitermachen. Wir ergänzen uns perfekt, ich mit meiner Sporterfahrung und Philip mit seinem ganz anderen Blick auf Ticketing, Vertrieb und mit seiner vielseitigen Expertise.
Herr Erbers, Ihre Bereiche werden mit Innovation, Infrastruktur und Nachhaltigkeit beschrieben. Darüber steht also das Ziel „green event“.
Erbers: Wir entwickeln uns zu einem „green event“, wobei man beim Thema Nachhaltigkeit differenzieren muss, dass wir uns nicht nur mit der ökologischen Nachhaltigkeit befassen, sondern auch mit der sozialen und ökonomischen. Wir sind als Deutschlands größte Sportveranstaltung mit 350.000 Besuchern sehr bestrebt, beim Co2-Fußabdruck eine Vorbild-Funktion zu erreichen.
Seit Jahren spielt die Digitalisierung eine große Rolle beim CHIO.
Erbers: Die Digitalisierung ist gerade im Hinblick auf die Nachhaltigkeit ein gutes Vehikel, um noch effizienter zu werden. Also: papierlos werden. Oder effizientere Bewässerung. Digitalisierung ist ein Super-Werkzeug, um sich nachhaltig aufzustellen. Es gibt viele Bereiche, etwa die ständige Weiterentwicklung unserer App für die Zuschauer oder das Thema Datenanalyse bei unseren CAMPUS-Lehrgängen.
Welche Rolle spielen digitale Möglichkeiten beim Tierschutz?
Rosenberg: Digitalisierung ist ein ganz wichtiges Tool beim Tierschutz. Über digitale Mess-Methoden gewinnen wir Daten, die uns viel mehr darüber sagen, wie sich ein Pferd im Wettkampf fühlt. Das wollen wir von Aachen aus voranbringen. Alle kennen die Diskussion um den Tierschutz, und der müssen und wollen wir uns stellen. Da haben wir eine Verpflichtung. Da sind in diesem Jahr in Aachen schon erste Tests gemeinsam mit Wissenschaftlern geplant. Wir wollen hier Transparenz schaffen, Offenheit gehört dazu.
Mit dem Thema Tierschutz werden Sie regelmäßig konfrontiert.
Rosenberg: Grundsätzlich wird der Sport in der Gesellschaft kritisch hinterfragt. Diese Entwicklung sehen wir nicht nur beim Reitsport, das Verhältnis von Mensch zu Tier hat sich verändert, viele neigen dazu, das Tier zu vermenschlichen. Trotzdem gibt es berechtigte Kritik. Wir haben für uns eine ganz klare Haltung und leisten dazu unseren Beitrag da, wo wir direkt hier in Aachen Einfluss nehmen können – von der Ankunft bis zum Wettkampf.
Sind Sie nach der Corona-Zwangspause und dem Turnier 2022 wieder auf dem Stand wie vorher?
Erbers: Wir sind sehr dankbar, dass die internationalen und regionalen Sponsoren weiterhin dabei sind. Was die Besucherzahlen angeht, sind wir in der glücklichen Lage, nahe an die Vor-Corona-Auslastung heranzukommen. Also: Wir sind wirklich happy!
Verändert sich im Laufe der Jahre die Struktur der Zuschauer, etwa was ihre geografische Herkunft betrifft?
Erbers: Wir wissen aus Analysen, dass unsere Besucher einen durchschnittlichen Anfahrtsweg von 200 Kilometern haben. Viele nehmen aus Interesse an der Veranstaltung weite Wege auf sich. Die Altersstruktur bleibt relativ konstant. Wir sind nach wie vor ein Volksfest für Jung und Alt, auch mit den über 200 Ausstellern und ihren Angeboten.
Frau Rosenberg, Sie freuen sich jetzt auf das Partnerland Großbritannien, endlich habe es geklappt, haben Sie gesagt. Also hat es schon mehrere Versuche gegeben?
Rosenberg: Großbritannien war bei uns, seitdem wir ein Partnerland haben, immer ganz oben auf der Wunschliste, weil es alles zu bieten hat, was wir uns für die Woche wünschen. Wir haben über verschiedenste Zugänge immer wieder versucht das zu realisieren. Es hat irgendwie nie geklappt, dann kam der Brexit. Jetzt sind wir sehr, sehr glücklich, dass uns der britische Teamchef der Vielseitigkeitsreiter viele Türen öffnen konnte. Er ist vernetzt – auch ins Königshaus. Den Briten ist es wichtig, gerade jetzt zu zeigen, welche Bedeutung Freundschaft und internationale Beziehungen haben.
Die Eröffnungsfeier mit „All you need is love“ kann man in vielerlei Hinsicht interpretieren, als Angebot an die Brexit-Nation, als Akzent in der aktuellen politischen Situation, als verbindendes Element im Sport.
Rosenberg: Genauso war und ist es tatsächlich. Der Titel ist eine Hymne, und die Beatles werden bei der Eröffnungsfeier eine große Rolle spielen. Es passt perfekt in diese Zeit. Gerade der Dienstagabend ist ein fröhlicher Abend, der Völker verbinden und uns mit einer schönen Stimmung in die Turnierwoche bringen soll.
Die „Household Cavalry“, die Garde des Königshauses, ist mit dabei.
Rosenberg: Jeder, der im Fernsehen die Krönung gesehen hat, kennt sie von den großen Paraden. In London gehört sie zum Straßenbild. Das ist natürlich Tradition pur, Geschichte und Glanz. Die Garde kommt mit dem berittenen Fanfarenkorps, und sie wollen neben einer Quadrille auch zeigen, dass sie großartiges Spektakel beherrschen. Sie sind die ganze Woche hier. Das ist sehr schön!
Wie entwickelt sich der CAMPUS weiter?
Rosenberg: Der CAMPUS ist in Corona-Zeiten entstanden, steckt noch in den Kinderschuhen, aber wir haben in den letzten zwei Jahren Vieles gut vorangebracht. Das Thema Jugend spielt da eine große Rolle. Wir haben als einer der größten Turnierveranstalter die Verpflichtung, die Jugend zu fördern und den Sprung in unseren Sport zu ermöglichen. Unser Netzwerk in die Szene, zu guten Trainerinnen und Trainern, Reiterinnen und Reitern nutzen wir und gestalten Möglichkeiten für junge Menschen, zu uns zu kommen und hier gutes Training zu erfahren. Da geht es nicht nur ums Reiten. Es bedarf ja viel mehr, um ein guter Sportler zu sein. Das ist Mental-Coaching, Medien-Training, Ernährungswissenschaft, sportmedizinische Betreuung. Das betrifft den Spitzensport, aber wir wollen auch unsere vielen Möglichkeiten dem Breitensport zur Verfügung stellen, das Gelände dafür öffnen und für die Region eine gute Rolle spielen. Für die Marke CHIO Aachen ist es sehr wichtig, eine ganzjährige Präsenz zu haben.
Welche Rolle spielt beim CAMPUS der Parasport?
Rosenberg: Wir sind fest davon überzeugt, dass Parasport zukünftig in den CHIO Aachen gehört, das ist unsere mittelfristige Vision. Er wird dann ein fester Bestandteil des CHIO in der Turnierwoche sein. Aktuell bekommen wir das mit dem jetzigen Gelände nicht hin, wir brauchen weitere Flächen, um Para einbinden zu können. Wir werden aber auch jetzt schon die erste Para-Veranstaltung beim CAMPUS machen und in Kürze Kader-Lehrgänge der Para-Reiter bei uns haben.
In die Pläne für den Sportpark Soers kommt Bewegung, nicht zuletzt durch die Zusage der Fördergelder. Schon lange planen Sie eine neue Halle. Wie ist der Stand der Dinge?
Erbers: Wir hoffen jetzt, dass wir zeitnah zu Ergebnissen kommen. Wir sind mit allen Protagonisten im engen Austausch. Die Planungen sind in einem sehr fortgeschrittenen Stadium. Aber aufgrund der aktuellen Kostensteigerungen müssen wir genau schauen, was wir letztlich realisieren können.
Was ist für Sie persönlich die größte Herausforderung für das Turnier 2023?
Rosenberg: Wir alle wünschen uns natürlich alle ein Turnier, bei dem nichts Unerwartetes passiert, das sind zehn Tage Anspannung pur, die Abläufe sind komplex. Sicherheit steht ganz oben und wir hoffen, dass wir sehr schöne Turniertage erleben können.
Erbers: Die größte Herausforderung für das Team und auch für uns wird es sein, bei all der Anspannung mal einen Moment zu finden, in dem man selber mal das Turnier genießen kann.
Und Sie haben die berechtigte Hoffnung, dass dies auch eintritt?
Rosenberg, Erbers: Ja, absolut!
Mein Interview mit Birgit Rosenberg und Philip Erbers ist vor einigen Tagen in der Sonderausgabe „CHIO Aachen 2023“ des Magazins BAD AACHEN erschienen.