„Etwas schrill, stimmt.“
Das Theater hat eine neue Intendantin: Elena Tzavara. Ein Gespräch über Pläne, Perspektiven, Persönlichkeit.
„Zwischen Hauptbahnhof und Büro.“ Das ist die Standort-Beschreibung. Ihre geografische. In zentraler Lage wohnt sie, die Neu-Aachenerin. Neu? Die Stadt kennt sie besser, als manche vermuten. Oft ist die neue Generalintendantin schon hier gewesen. Ihre Bewerbung für das Theater war sozusagen ein Plädoyer für die urbane Architektur dieser Stadt, ihre Gesellschaft und ihre Potenziale.
Wir sitzen in der Lounge eines Hotels mit Blick aufs Theater. Was hat sie gereizt an dieser Stadt, an diesem Theater, bestätigt sich der Eindruck, dass es die richtige Entscheidung war? Sie nippt kurz an ihrem grünen Tee und beginnt mit einem „Also“. Voilà: „Also, was mich sehr bestätigt, ist die positive Resonanz auf das Programm und auf die Neugestaltung. Es freut mich, dass sich Leute damit auseinandersetzen, Fragen stellen und man erklären kann, was man beabsichtigt.“ Sie garantiert gleichermaßen die Erfüllung der Ansprüche von Kindern wie von Erwachsenen. Sie lässt daran keinen Zweifel, stellt es selbstbewusst in den Raum. Sie macht es zu ihrem Qualitätssiegel, an dem sie sich messen lassen will und muss.
Das neue Programmheft, die neue Farbe – sie kommen als neongelbes Testat daher. Wird das Theater unter ihrer Führung also eine grelle Angelegenheit? „Nach 18 Jahren wirkt es etwas schrill, stimmt. Die Farbe soll auf uns aufmerksam machen. Uns hat vor allem das Logo sehr gefallen.“ Es stellt Aachen teilweise auf den Kopf, zumindest das zweite A. „Das ist eine andere Perspektive“, sagt die Intendantin und formuliert damit in einem Satz den Anspruch für die erste Spielzeit und ihre Arbeit überhaupt.
Sie will ein sinnliches und ein spartenübergreifendes Theater. „Sinnlich bedeutet für mich, dass man die Menschen, die kommen, verführen möchte. Es ist kein ausschließlich intellektuelles Theater. Spartenübergreifend gewinnen wir dadurch, dass Schauspieler*innen und Opernsänger*innen gemeinsam auf der Bühne stehen, noch mehr Sinnlichkeit.“ Die Gender-Sterne gehören zu ihrer Sprache: als Achtelpause ihrer Rhetorik-Komposition.
Nicht ausschließlich intellektuell heißt: Neue Zielgruppen? „Auf jeden Fall. Wir möchten auch diejenigen ansprechen, die nicht ohne weiteres ins Theater gehen. Das sollte immer das Ziel sein.“ Junge Leute? „Auch, aber nicht ausschließlich. Wir meinen mit altersübergreifend Menschen, die es noch nicht geschafft haben, zu uns zu kommen. Es ist unsere Aufgabe, das Theater zu einem Begegnungsort zu machen, an dem sich jeder und jede willkommen fühlt und kulturelle Vielfalt und Teilhabe gefördert werden.“ Bei jeder Inszenierung gibt es im Programmheft eine Art Altersempfehlung. „Das ist besonders für das Format Familienvorstellung wichtig. Eine Familie kann für zehn Euro pro Kind in jeder Kategorie Platz nehmen.“
Spartenübergreifend wird es sofort bei der Spielzeit-Eröffnung losgehen. Schauspiel- und Opernensemble und das Sinfonieorchester agieren gemeinsam im Großen Haus. „KingArthur“ oder „Let Them Eat Chaos“ lautet der neugierig machende Titel der Semi-Oper von Henry Purcell und John Dryden mit Texten von Kae Tempest. Elena Tzavara gerät ins Schwärmen, überzeugt und überzeugend: „Kae Tempest ist die britische Literatur-Ikone, die größte Dramatikerin unserer Zeit. Ihr Gedicht wird verschränkt mit der wunderschönen Musik von Henry Purcell.“
Und dann, es führt kein Frage-Weg daran vorbei, wird sie mit der finanziellen Situation eben auch des Theaters Aachen konfrontiert. Dass man demnächst auf Rücklagen zurückgreifen müsse – davon will sie nichts wissen. „Das ist keine nachhaltige Lösung.“ Hört sie noch keine schrillen Töne aus der Verwaltung, aus der Politik? „Ich vernehme noch keine Warnsignale. Mit dem positiven Elan, den ich jetzt habe, möchte ich dem Theater die Chance geben, diesen neuen Weg zu beschreiten – auch intern. Wir müssen erst einmal zeigen, für was wir stehen. Ich hoffe, dass die Menschen in Aachen neugierig sind und wir die Lust wecken, in dieses schöne Haus zu gehen. Der Prozess wie man Theater zukunftsfähig und nachhaltig manövriert, ist gewiss schwierig. Dem stelle ich mich gerne, für diesen bin ich hier angetreten.“
Aachen war vor ihrer Bewerbung für sie kein unbekannter Ort. „Ich wusste ziemlich viel, weil ich eine Recherche betrieben und mir angeguckt habe, was das für Leute in Aachen sind, für Bevölkerungsschichten; die Demografie dieser Stadt, ihre Historie, sie sind so reichhaltig.“ Aachen kennt sie auch privat gut. „Eine meiner besten Freundinnen ist Aachenerin. Und meine Tante ist Aachenerin.“ Da lacht sie, als sei sie für diesen Moment selber Aachenerin. Was jetzt zutrifft auf der großen Bühne dieser Stadt. „Sie fühlt sich nicht fremd an, komischerweise…“
Elena Tzavara musste nicht lange über Berufswünsche nachdenken und entschied sich früh fürs Theater. „Ich fand es schon als Kind toll, Vorstellungen auf der Bühne zu erleben. Und ich habe viel Musik gemacht, selber viel auf der Bühne gestanden.“ In Hamburg war sie Abonnentin des Thalia-Theaters, das hat einen zusätzlichen Schwung ausgelöst. „Ich habe für diesen Beruf richtig Feuer gefangen, und meine Eltern konnten mich nicht bremsen.“ Der Studiengang Musik- und Theaterregie an der Hanns-Eisler-Musikhochschule Berlin bildete ihre beiden großen Leidenschaften perfekt ab.
Das sieht nach geplanter Karriere aus, alles hat wunderbar funktioniert. Das täusche, sagt sie. „Das ist überhaupt keine klassische Karriere. Da hätte ich nicht den Abzweig genommen, für Kinder und Jugendliche Oper zu machen. Das ist eher eine reine nicht-klassische Karriere.“ Damit trifft sie nun exakt den Zeitgeist in der Theater-Szene. Auch in Aachen ist es en vogue. Ihr erster Spielplan dokumentiert das ohne Wenn und Aber. Menschen mit ihrer Erfahrung sind gefragt, wenn es darum geht, junges Publikum an das Theater zu binden. „Der erste Kontakt muss gut und qualitativ hochwertig sein, darum geht es. Kinder und Jugendliche verstehen sofort, wann etwas gut und wann etwas schlecht ist. Man muss junges Zielpublikum genauso ernst nehmen.“
Ihre Expertise ist die Vermittlung im Musiktheater. Deshalb steht dieser Anspruch im Programmheft nicht irgendwo am Schluss, sondern ganz vorne. Angebote für Familien, für Schulen, für Gruppen aller Altersstufen. Das könne man in Aachen wunderbar in verschiedenen Formaten realisieren. Sie kooperiert mit Schulen und Hochschulen. Am Morgen war sie noch in der Schule am Fischmarkt. Sie ist unterwegs, rollt den Teppich des Gesprächs aus, sie und ihr Theater sind mittendrin in der Stadtgesellschaft. „Vernetzung ist ganz wichtig. Wenn man miteinander kooperiert, entstehen tolle Synergien.“
Sie hat ihre erste Spielzeit mit einer Frage überschrieben. „Wer ist Europa?“ Frau Tzavara, wie beantworten Sie die Frage? Europa ist für sie der Ort vieler Privilegien. „Wenn wir die nicht schätzen und pflegen, weil wir sie gar nicht als Privilegien bereifen und sie mit anderen Ländern nicht vergleichen können, dann kann man das nicht sehr lange genießen.“ Da könne Theater Empathie für Europa aufbauen. „Wir wollen zum Beispiel jungen Menschen auch sagen: Fühlt euch ein in die Menschen, die diese Privilegien nicht haben.“ Ihre Antwort auf die Frage, wer Europa sei, fällt auch sehr persönlich aus. „Meine Mutter ist Griechin, mein Vater Deutscher. Ich durfte das Privileg genießen, zwei Kulturen, zwei Welten kennenzulernen. Ein riesiges Geschenk!“ Das Leitmotiv Europa war ihre Idee, weil es sich in Aachen geradezu aufdränge. „Es gibt keinen besseren Ort.“
Die Oberbürgermeisterin dieser Stadt, Sibylle Keupen, hat euphorisch von dem neuen „frauengeführten Theater“ geschwärmt. Das ist nicht Tzavaras Thema. „Ich habe das nie geschlechterspezifisch betrachtet.“ Gendern steht unterdessen bei ihr hoch im Kurs. „Das spielt für junge Menschen eine wesentliche Rolle, weil sie anders sozialisiert werden. Das geht sie was an. Sie möchten nicht mehr geschlechterspezifisch eingeteilt werden.“
Der Spielplan trägt ihre Handschrift. „Eine ganz gute Mischung von unterschiedlichen Lesarten“, sagt sie selbstreflektierend. Was und wer beeinflusst sie bei der Auswahl, die am Ende ein Gesamtkunstwerk sein soll? „Ich gehe viel ins Theater, gucke mir viel an, habe mit vielen schon gearbeitet, habe deren Werke gesehen, deren Regie-Handschriften kennengelernt, ich schaue mir an, was die Stoffe hergeben, wie sie zu denen, die das künstlerisch gestalten sollen, passen. Auch aus dem Team mit Christopher Ward, Kerstin Grübmeyer, Isabelle Becker und den anderen Dramaturg*innen, mit denen ich eng im Austausch bin, gibt es enorm fruchtbaren Input.“ Nein, das Rad könne man nicht neu erfinden. Aber: „Man wird schon merken, dass es anders ist, weil viele Regisseurinnen auch noch nie hier in Aachen waren.“
In Hamburg geboren, in Berlin studiert, sie war in Salzburg, hat in Köln und Stuttgart gearbeitet, jetzt Aachen. Ist das der Sprung in die Provinz? „Aachen ist keine Provinzstadt. Ich gehe durch die Stadt und spüre ein internationales Flair, das ist nicht provinziell, egal wie groß die Stadt ist.“ Und deshalb fände sie es sehr schön, wenn auch die „überregionale Außenwelt mitkriegt, was hier in Aachen stattfindet“.
Abschließend noch drei kurze Fragen, Frau Tzavara.
Ist Kultur politisch relevant? „Ja, weil sie auch eine neue Perspektive sein kann.“
Wie gehen Sie mit Politik um, desillusioniert oder offensiv? „Ich hoffe offensiv. Ich bin in Köln zu den Parteien gegangen und habe richtig Klinkenputzen gelernt. Es macht mir Spaß Leute zu überzeugen.“
Wie anders muss Theater werden? „Es muss zugänglicher werden – für alle, egal, wer man ist.“
Privat liest sie theoretische und philosophische Bücher („bei anderen schlafe ich sofort ein“), hört weniger klassische Musik, „eher Jazz- oder Popularmusik – um ehrlich zu sein“. Und: „Ich höre nicht sehr viel. Zuhause, da genieße ich auch gerne die Stille.“ Also dann, danke für das anregende Gespräch!
Zur Person
Elena Tzavara, 1977 in Hamburg geboren, studierte Musik- und Theater-Regie an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Sie war Regieassistentin, Produktionsleiterin und Abendspielleiterin unter anderem bei der Ruhrtriennale unter der Intendanz von Gérard Mortier, den Salzburger Festspielen und an der Deutschen Staatsoper Unter den Linden unter der Intendanz von Peter Mussbach. Sie leitete die Kinderoper Köln und wurde ab 2014 Festivalleiterin der überregionalen Festivals „Musik und Literatur in den Häusern der Stadt“ in Köln, Bonn, Hamburg und München. Seit 2017 ist sie Künstlerische Leiterin des JOiN (Junge Oper im Nord) in Stuttgart und Leiterin des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Stuttgart. Tzavara hat sich im Auswahlverfahren gegen 58 weitere Bewerberinnen und Bewerber durchgesetzt. Sie ist verheiratet und hat einen 15-jährigen Sohn.
Das Interview ist in der September-Ausgabe des Magazins BAD AACHEN erschienen.
Fotos: m-m