Die Show beginnt!
Er erzählt Geschichten. Von und mit Menschen. Von und mit Pferden, die spielen bei diesem einzigartigen Event ohnehin die Hauptrolle. Beide, Mensch und Pferd, sind die Markenzeichen eines Turniers, das nicht mit irgendeinem Brimborium, sondern mit Stil, mit Show, mit Anspruch, mit Choreografie und Dramaturgie, kurzum mit dem bunten Potenzial einer vielfältigen Sportart präsentiert werden soll und wird.
Dazu braucht man einen Autor, der Talent und Faible hat für Abläufe, Wechsel, Nuancen, Perspektiven, Überraschendes, Spannendes, Ruhiges, Lautes, Leises, Bewegungen, Räume, Emotion, aber auch für das enge Korsett der Zeitplanung. Er heißt Uwe Brandt.
Wir treffen uns im Richterturm, jenem runden Gebäude, in dem genau beobachtet, bewertet und vor allem auch gesprochen wird. Hier informieren und kommentieren die Stadionsprecher während der Springprüfungen mit sonorer Stimme die aktuellen Zeitläufte des Turniers – mal mit nüchternen Zahlen über Fehlerpunkte und Bruchteile von Sekunden, mal euphorisch, mal mitfühlend, mal zurückhaltend. Hier oben hat man den nötigen Durchblick fürs große Ganze, das ein so gigantisches Turnier prägt.
Hier wird er am Dienstag, dem 2. Juli, sitzen. Uwe Brandt ist seit 2015 Regisseur und Drehbuchautor der Eröffnungsfeier. Die Handschrift des ehemaligen Theaterintendanten, erfahrenen Bühnenmenschen („4 Amigos“) und Coaches (Kommunikation und Entwicklung) hat dem offiziellen Auftakt im Springstadion eine Fülle an neuen Farben gebracht. Diese Herausforderung, Tradition auf dem permanenten Weg in die ansprechende Moderne zu transformieren, ist ihm über die Jahre beeindruckend gelungen.
Klar hat er vor der mehrere Fußballfelder ausmachenden Größe des Parcours Respekt. Alles andere wäre purer Leichtsinn. Aber er hat sich arrangiert, wenn er sagt: „Es ist für mich eine Ehre, das als Öcher machen zu dürfen. Für jemand, der gerne auf einer Bühne steht, ist diese unfassbar große Wiese ein Abenteuer.“ Tanzgruppen mit ziemlich vielen Leuten sähen da aus wie winzige Butterblümchen. So formuliert er in einem einzigen Satz die Herausforderung – an ihn.
Ein Theaterprinzip lautet „Arbeite nie mit Kindern oder Tieren“. Dieses Gesetz ist hier außer Kraft gesetzt. Komplett und nicht verhandelbar. „Da muss man anders denken, das war neu für mich, und im Laufe der Jahre habe ich immer mehr dazu gelernt. Es geht nicht nur um Bilder vor der Mercedes-Benz-Tribüne, sondern um alle Ecken in diesem Stadion, die ordentlich bespielt werden müssen.“ Das sei letztlich in den vielen Szenarien mit den schönen Kostümen, Kutschen und Facetten so etwas wie ein „Wimmelbuch“ des CHIO.
Brandt kennt das Publikum mittlerweile genau, seine Affinität für Gefühle und Stimmungen. Seine Erwartungen. Und doch ist er gelegentlich überrascht, „wenn ein Treffer gelingt, wo man ihn gar nicht erwartet, zum Beispiel in ganz stillen Momenten, oder wo man manchmal mehr an Reaktion erwartet hatte.“
Die USA sind in diesem Jahr Partnerland, und Uwe Brandt sprach bei der Bekanntgabe von einem „Swimmingpool der Möglichkeiten“. Wie besetzt man aus dieser Fülle heraus letztlich das Programm, wer und was stehen zur Verfügung, in welche Regale des amerikanischen Lifestyle greift man? Barbie, Cowboy, Football, Cheerleader, Marching Band, Hollywood, Las Vegas – it’s showtime, ladies and gentlemen, und friend Uwe soll das nun zu einem Gesamtkonzept mixen. „Ich bin nicht alleine“, sagt er da. „Wir tauschen uns im ALRV aus, fragen gegenseitig, was die anderen von einer Idee halten.“ Uwe Brandt schreibt ständig Ideen in seinem Skizzenbuch auf. Daraus entsteht eine erste Ideensammlung im Januar, auch mit dem Gespür dafür, sich nicht in allzu vielen Klischees zu verheddern.
Über Wochen entwickelt sich der Plan, werden Akteure angesprochen und verpflichtet, Zeiten gemessen, und fünf Tage vor der Feier sollten mindestens 95 Prozent der Bilder, Bewegungen und Aktionen exakt feststehen. Das alles geschieht in enger Absprache mit dem WDR, der live überträgt.
Uwe Brandt ist, logisch, vorher nervös – in einem höheren Grad als bei den „4 Amigos“, wenn er selber auf der Bühne steht. „Denn jetzt sind andere auf dieser großen Bühne im Parcours, dann kannst du selber trotz Funkverbindung nicht mehr allzu viel machen.“ Aber wenn alles funktioniert, dann sei das „noch schöner, als selber auf der Bühne zu sein“.
Über 120 Pferde, etwa 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, amerikanische Gäste und einheimische Vereine, Marga Render und ihre Tanzformationen, sie alle sind ein großartiger Teil des Ereignisses. Es ist manchmal ein mühsames Vorangehen im Hin und Her von Zu- und Absagen, Programmänderungen, detaillierten Abläufen. Am Ende wird aus diesem organisatorischen Kunststück ein ebenso sportliches wie kulturelles Kunstwerk. Viel Vergnügen!
Titelfoto: m-m, Logo: ALRV