Demokratie! Gemeinsam!

Demokratie! Gemeinsam!

Am Ende dieses Forums wird Norbert Greuel sagen, welche Szene bei ihm den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen habe: Als der 97-jährige Leo Frings sich von seinem Platz erhob, um den jungen Menschen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums stehend zu applaudieren. Elf Schülerinnen und Schüler dieser Schule hatten bemerkenswerte und anregende Thesen zu Demokratie, Politik und den Perspektiven ihrer Generation vorgetragen.

Die Bürgerstiftung Lebensraum Aachen hat an diesem Samstagvormittag und Mittag zu einem Gedankenaustausch zum Thema „80 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus und Ende des 2. Weltkriegs in Aachen“ eingeladen. Die Projektgruppe „Platz für Demokratie“ fragt einen Tag vor der Bundestagswahl: „Sind Demokratie, Freiheit und Frieden erneut in Gefahr?“  Norbert Greuel und Hans-Joachim Geupel begrüßen als Leiter und Mitglieder des Projekts „Platz für Demokratie“ im Forum M der Mayerschen Buchhandlung Aachen fast 300 Besucherinnen und Besucher.

Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen spricht ein Grußwort, dankt der Bürgerstiftung für diese Veranstaltung und das große Engagement für Demokratie, Freiheit, Frieden. Dr. Jürgen Linden, Vorsitzender des Karlspreis-Direktoriums, warnt angesichts der Entwicklungen in den USA ebenso analytisch wie energisch vor den Gefahren, die Europa und ihren Gesellschaften drohen. Seine Rede ist ein Appell an die EU-Staaten, endlich gemeinsam zu agieren und Europa damit ein neues Selbstbewusstsein zu verschaffen. Es gibt viel Beifall für diesen starken Beitrag.

Zeitzeugen im Gespräch: Heinz Jussen (von links), Antonia Wilmes, Moderator Bernd Mathieu und Leo Frings. Foto: maja
Zeitzeugen im Gespräch (von links): Heinz Jussen, Antonia Wilmes, Moderator Bernd Mathieu und Leo Frings. Foto: maja

In der ersten Gesprächsrunde erinnern drei erfahrene Persönlichkeiten an Krieg, an Zerstörung der Demokratie, an Unterdrückung, an Missachtung der Menschenrechte und der Freiheit aus ihren Erlebnissen. Leo Frings, 1927 geboren, war langjähriger Ratsherr und Gewerkschafter. Bewegend sind die Eindrücke und Beobachtungen, die er aus seiner Jugend schildert. Dass jetzt wieder eine rechtsextreme Partei so viel Zulauf erfährt, empört ihn. „Das ist furchtbar. Diese Leute geben ein Menschenbild vor, das menschenverachtend ist.“

Antonia Wilmes, 1944 geboren, war Studienrätin an der Käthe-Kollwitz-Schule für Chemie und Ernährungslehre. Beim Studium in Aachen knüpfte sie Kontakte zu Studierenden in der DDR und traf sich mit ihnen in Ostberlin. Dabei wurde ihr besonders bewusst, was es bedeutet, in Freiheit und Demokratie zu leben. Nach dem Mauerfall wurden die Kontakte intensiver. „Freiheit und Demokratie sind besonders wichtige Themen meines Lebens, und sie sind der Grund dafür, heute hier dabei zu sein.“

Heinz Jussen, 1941 geboren, war Realschulrektor, Bergmann, Kampfsportler, Einsatzgruppenleiter bei der Polizei. Die Erfahrung der Gewaltanwendung bei Polizeieinsätzen veränderte sein Leben. Er stieg aus, studierte Erziehungswissenschaft, wurde Lehrer. Er gründete 1993 zusammen mit der „Aktionsgemeinschaft Den Krieg Überleben“,  der „Aachener Bosnienhilfe“ und „Aachener Bewährungshelfer kontra Sozialabbau“ das Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit e. V. Die Gruppe um Heinz Jussen organisierte 2014 einen Fackellauf für den Frieden. Dieser Lauf führte in 56 Lauftagen 3000 km durch zwölf europäische Länder, beginnend in Sarajewo und ankommend in Aachen. Beeindruckend sind seine Schilderungen von seinen teils lebensgefährlichen Hilfseinsätzen auf dem Balkan und von seinem unermüdlichen Einsatz für Frieden und junge Menschen.

In einer zweiten Gesprächsrunde sprechen die drei Aachener Bundestagsabgeordneten Armin Laschet (CDU), Ye-One Rhie (SPD) und Lukas Benner (Grüne) miteinander. Auch Winfried Böttcher, emeritierter Professor am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH Aachen im Bereich Internationale Beziehungen, sitzt mit am Podium. Den stärksten Beifall erhalten die Schülerinnen und Schüler mit ihren Texten, die sie intensiv vorbereitet haben. Auszüge daraus:

„Besonders junge Menschen zweifeln daran, dass ihre Meinung wirklich etwas verändert. Sie fühlen sich von der Politik nicht ernst genommen und ziehen sich zurück.“

„Der Aufstieg rechter Kräfte ist ein Alarmsignal, ein Weckruf, der uns mahnt, unsere Werte zu verteidigen. Die Demokratie lebt von unserem Zusammenhalt, uns gegen Hass zu stellen.“

„Viele Menschen haben das Vertrauen in die Politik verloren, da sie das Gefühl haben, nicht gehört zu werden. Gleichzeitig gibt es im Netz unzählige Desinformationen, und es wird zunehmend schwieriger, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden.“

„Ich bin froh, in Deutschland zu leben. In einem Land, in dem ich frei meine Meinung sagen kann, meine Religion wählen und ausleben darf und in dem ich Menschen aus verschiedensten Kulturen treffe. Aber ehrlich gesagt, ich habe das Gefühl, dass Deutschland sich in eine Richtung entwickelt, die uns in Zukunft Probleme bereiten könnte.“

„Statt in Angst zu verfallen, sollten wir unsere Vielfalt als Stärke begreifen. Gemeinsam können wir innovative Lösungen finden und uns aktiv für Integration, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit einsetzen. So verwandeln sich Sorgen in Hoffnung, wenn wir solidarisch und entschlossen die Zukunft gestalten.“

„Das Problem liegt nicht beim Migranten, sondern bei einer Frau, die Hitler als Kommunisten und Linken bezeichnet. Die Hetze betreibt, obwohl wir doch wissen, dass Hitler derjenige war, der Kommunisten ermorden ließ.“

„Das Böse erwacht – und wir dürfen es nicht verschlafen. Nicht noch ein weiteres Mal. Es liegt an jedem Einzelnen von euch, JEDEM EINZELNEN, die Augen offen zu halten, das Herz weich und die Stimme laut.“

„Die Zukunft wird nicht von allein besser. Wir müssen sie gestalten – mit Mut, mit Menschlichkeit, mit unserer Stimme. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen.“

Die Menschen im Forum M erheben sich von ihren Plätzen und applaudieren sehr lange den jungen Leuten. Hinzu kommen dann Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule, die sich ebenfalls intensiv vorbereitet haben und Fragen präzise und meinungsstark beantworten.

Heribert Leuchter (Musik) und das Theater K mit Annette Schmidt, Jonas Laiblin und Falk Philippe Pognan haben diese hochwertige Veranstaltung mit ihren kulturellen Glanzpunkten bereichert. Der Bürgerstiftung ist an diesem Tag etwas ganz Besonderes gelungen.

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