Das Plakat.

Das Plakat.

Schon immer wurde gekleistert. Mit mehr oder weniger Falten. Da nützten die digitalen Botox-Spritzen im Photoshop nichts: Kleister ist der natürliche Feind jeder Gesichtsglätte. Immerhin verschafft er Kandidatinnen und Kandidaten gewisse Konturen.

Plakate sind eine ernste Angelegenheit. Wen sprechen sie an? Mit welchen Botschaften sprechen sie an? Sprechen sie an uns vorbei? Sprechen sie überhaupt? Oder machen sie uns sprachlos? Ach ja: Plakat zu sein, ist eine schwere Sprache. Wer sie beherrscht, kann gewinnen. Aber sicher ist das nicht. Und wer sie nicht beherrscht, kann verlieren. Aber sicher ist auch das nicht.

Verloren haben die Laternenpfähle, die Grünanlagen, die Bürgersteige, die Innenstädte. Die meisten Plakate der Parteien sind durchweg traditionell, wenig überraschend, selten originell, ja sagen wir es offen heraus: Sie sind geprägt von einer über Jahrzehnte gepflegten Langeweile. Sie sollen, so sagen das die besserwissenden Politstrategen hinter vorgehaltener Hand (einem in der Politik beliebten Instrument der eingeschränkten Kommunikation), die eigenen Wählerpotenziale mobilisieren. Die gekleisterte Hoffnung stirbt zuletzt.

Seit Wochen haben gefühlt alle Flächen, die sich nicht wehren, berührenden Kontakt mit einem Plakat. Parteien dürfen das in Wahlkampfzeiten. Die wichtigtuerische Aufrüstung  gilt nicht als Umweltbelästigung, sondern als erlaubtes, wenn auch zuweilen wenig ansehnliches Mittel politischer Gestaltung in einer Demokratie. Geschenkt! Aber schöner, ansprechender, informativer und unterhaltsamer könnten sie doch sein, liebe kommunalpolitische Gestalterinnen und Gestalter. Wenigstens ein bisschen, bitte!

    Verschränkte Ansichten, nein: Es sind nur die Arme…

Immer, immer kleben sie Plakate, große, kleine, mittlere, bunte. Sie lassen sie über Wochen ebenso unverändert wie unverdrossen hängen. Dabei weiß jeder halbwegs erfolgreiche Zigarettensuperbilligboxanbieter und jeder Waschmittelsuperreinigerwerber, dass man nach 10 Tagen, so zirka, mal durch Wechsel zeigen soll, was man denn noch so drauf hat.

Die SPD will mehr Verkehr.

In meiner Heimatstadt Baesweiler ist das allerdings gelungen – das mit dem Wechsel. Die SPD hat ihren – und das ist jetzt hier und heute ernst gemeint, also Achtung: keine Satire! – durchaus ansprechenden Kandidatinnen- und Kandidatenplakate durch Sprüche ergänzt. Sprüche mit einem Sternchen und einem Fußnötchen direkt darunter, damit man versteht, was gemeint ist, wenn man es so klein gedruckt schon nicht lesen kann. Ein Beispiel: „Mehr Verkehr*“ ist nicht die direkte Aufforderung für heiße Nächte auf dem Weg der Stadt zur kinderreichsten Gemeinde der Europäischen Union, sondern wird züchtig ergänzt „mit Bus und Bahn“.

Noch ein Beispiel aus der roten Reihe: „Beruhigt schlafen*“ ist nicht die selbstkritische Beschreibung bisheriger Oppositionsarbeit im Baesweiler Stadtrat, sondern die Aussicht auf mehr Sicherheit im Ort. Die will auch die seit 1979 regierende CDU. „Wir stehen für eine sichere Heimat.“ Wer hätte das gedacht? Mit „Wir“ ist wohl die Partei gemeint, gezeigt wird unterdessen der Rücken eines Polizisten. Hoffentlich wählt der CDU, was voraussetzen würde, dass er aus Baesweiler und nicht aus dem Photoshop stammt.

Es wird munter plakatiert, und der Vergleich sorgt für Abwechslung. Die FDP schafft es, auf kleinstem plakativen Raum sechs Zeilen zu platzieren: „Co-working vor Ort: Digital lernen und arbeiten in der Goetheschule. Jetzt erst recht.“ Soviel Inhalt auf den Punkt gebracht gelingt oft nicht mal in einem mit textlastigen und selten gelesenen Seiten ausgestatteten Wahlprogramm. Aber die Liberalen hätten sich von der SPD ein Sternchen leihen sollen, um die Frage zu beantworten: Watt is denn „co-working“? Und warum: „Jetzt erst recht“?

Wie sagte der kluge Kurt Tucholsky: „Man pumpt sich die großen Worte für die kleinen Sachen.“ Da bleibt die FDP am wortakrobatischen Ball. Der auch in Baesweiler plakatierte Dr. Werner Pfeil ist „Rechtsanwalt & Karnevalist“ – nicht nur im richtigen Leben, sondern auch auf dem Plakat. Und er ist, wie wir beim Einkaufsbummel vorübergehend im plakativen Internet-Link lesen „gut aufgestellt“. Dahinter entdecken wir ein Schach-Brett und ein schwarzes Pferd (also den Springer). Was will uns der Kandidat damit sagen? Dass er vielleicht doch lieber Präsident des Aachen-Laurensberger Rennvereins geworden wäre statt vom Aachener Karnevalsverein? Wir wissen es nicht.

Die einfache Sprache ist die beste. Sagen die Werbefachleute. „Mehr Grün. Gut für Baesweiler.“ Na, wer das wohl plakatiert? Richtig: die Grünen! Dass sie ihre Plakate in der Tradition des Fußballbildchensammelns gestaltet haben, erstaunt; denn ihre elf Fotos plus Logo auf dem Plakat sind so relativ klein wie die in Panini-Alben klebenden Miniportäts der großen Kicker-Stars.

Konsequenterweise stellen die Grünen dieses Plakat in Baesweiler-City gleich direkt vor die dank Schilf oder ähnlichem Gewächs zur „Grünanlage“ aufgewertete Bronzeskulptur von Hubert Löneke. Der Künstler musste so viel Respektlosigkeit vor der Kunst Gott sei Dank nicht mehr erleben. Der Bildhauer ist 2011 gestorben, sein Ex-Brunnen am Kirchplatz jetzt begrünt: ein kongeniales Gesamtkunstwerk.

Die Plakate sind nicht protzig, sie sind gut gemeint. Sie sind nicht wirklich störend, sie sind halt da: sie gehören dazu in Wahlkampfzeiten. Ohne sie würde uns etwas fehlen: die Kandidaten mit verschränkten Armen, in kurzen Hemdsärmeln, immer lächelnd. Immer mit Baesweiler im Herzen, gemeinsam, stark in Dorf und Stadt, gut aufgestellt, umweltbewusst, für alle Generationen, der Zukunft und der Heimat zugewandt. Jetzt erst recht und im Ernst: gut, dass diese Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich arbeiten und kandidieren. Gut, dass sie da sind, diese engagierten Menschen. Versprochen: Wir gehen wählen. Aber, bitte, versprecht uns: Ein paar Tage nach der Wahl sind sie weg, die Plakate. Abgemacht?

Ach ja: Richtig gut gefallen hat mir ein Plakat der FDP, ich habe es in Aachen entdeckt. Der Slogan heißt: „Der Lauteste hat nicht immer Recht!“ Ein schönes Werk, das an ihm hängend seinen Laternenmast wirklich und passend zur Zeit aufwertet. Danke dafür.

Fotos: BM

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