Sibylle Keupen: „Da wird es nicht nur Beifall geben“.

Sibylle Keupen: „Da wird es nicht nur Beifall geben“.

Projekt Nr. 1 ist der Büchel. Dort soll nun zügig die neue Mitte der Stadt entstehen. Auf der Agenda stehen auch der Bushof und der Sportpark Soers, natürlich das Thema Innenstadt-Verkehr und Mobilität. Sibylle Keupen äußert sich konkret zu einer Reihe von Punkten. Ich habe mit der neuen Oberbürgermeisterin gesprochen, bevor sie am Mittwoch, 4. November, in der konstituierenden Ratssitzung offiziell als erste Frau in Aachen in dieses Amt eingeführt wird.

67,37 Prozent, das ist eine Hausnummer, oder?

Sibylle Keupen: Ja, das ist ordentlich. Ich bin angetreten, um zu gewinnen. Von der Woge des Erfolgs bin ich ein Stückchen nach oben getrieben worden. Dass die Infratest-Prognose so deutlich war und sie im ersten Wahlgang noch getoppt wurde, hat mich überrascht. Und zur Stichwahl wollte ich es natürlich wissen! Das ist jetzt eine gute Basis, um die Arbeit im Rathaus zu beginnen. Es stehen große, nicht einfache Themen an. Da wird es nicht nur Beifall geben. Und es fängt schwierig an mit Continental.

Ihr Slogan „Ich bin bereit“ war eine ebenso kurze wie klare Ansage.

Keupen: Ich bin bereit für das Amt – mit allem, was dazugehört. Ich traue mir das zu, habe Kompetenzen, die aus meiner Sicht relevant sind, und letztlich heißt es: Jetzt lass uns das Ganze mal angehen!

Haben Sie nicht die Sorge, dass bei den vielen Herausforderungen ein Teil Ihrer Lebensqualität verloren geht? Ich vermute, Ihr Vorgänger ist froh, dass er das Amt los ist.

Keupen: Das Interview, das Sie in BAD AACHEN mit ihm dazu geführt haben, habe ich gelesen. Sorge habe ich eigentlich nicht, es wird sich sicherlich vieles ändern, das ist klar. Ich habe großen Respekt vor der großen Aufgabe und der Verantwortung. Bei der Entscheidung für die Kandidatur habe ich mich gut beraten lassen.

Von wem?

Keupen: Von Kollegen im OB-Amt, ich habe gute Kontakte zu Oberbürgermeistern, ich kenne den OB von Leipzig, Burkhard Jung. Das war ein Austausch auf sehr persönlicher Ebene. Mich fasziniert die Gestaltungskraft, die in diesem Amt steckt. Aachen hat viele Möglichkeiten, die nicht ausgeschöpft werden. Meine Herangehensweise in Politik und Verwaltung wird geprägt sein vom Blick des Bürgers. Den braucht Politik unbedingt. Wir erleben ja einen Generationswechsel, einen Kultur- und Politikwandel, nicht nur in Aachen.

Sie betonen den Vorteil des Bürgerblicks, da Sie nie in einem Stadt- oder Gemeinderat waren. Kann das auch ein Nachteil sein, weil Sie dieses Geschäft nicht kennen, die Strategien, die Tricks, die manchmal lästigen Wadenbeißer, sind Sie vorgewarnt?

Keupen: Vorgewarnt sicher, aber ich arbeite ja nicht alleine. Ich bin bereit, mich in das Team der politisch erfahrenen Leute einzubringen. Wir müssen gemeinsam eine kooperative Leistung erbringen. Ich muss zudem die unabhängige Verwaltung und die Politik verbinden, das ist meine Aufgabe als Oberbürgermeisterin. Da ist es gut, wenn man nicht in einem Lager verhaftet ist, sondern einen sach- und lösungsorientierten Ansatz hat. Ich bin ein pragmatischer Mensch. In Aachen müssen endlich Dinge umgesetzt werden.

In Aachen muss sich etwas bewegen, im wahrsten Sinne des Wortes, Stichwort Mobilität. Das muss aber doch mehr sein, als den Theaterplatz zu sperren, die Lothringerstraße zur Fahrradstraße zu machen oder eine Pkw-Spur am Adalbertsteinweg wegzunehmen. Das führt bei vielen zur Verärgerung, weil sie keinen Gesamtplan sehen.

Keupen: Ja, es braucht ein umfassendes Konzept! Das kann ich nur unterstreichen. Wir brauchen für die Mobilität eine Strategie in Verbindung mit der Stadtplanung. Den Plan dafür werden wir mit den Bürgern erörtern und vermitteln müssen, auf dem Weg zu diesem Ziel sind wir jetzt aus meiner Sicht in der Phase 2,5 von 10.

Leere Liegestühle
Das „Reallabor Theaterstraße“ in der Woche der Mobilität: Sibylle Keupen fordert statt leerer Liegestühle eine Strategie in Verbindung mit der Stadtplanung.

Schade, dass in der Mobilitätswoche die Chance der Vermittlung nicht wahrgenommen wurde. Mit leeren Liegestühlen am Theaterplatz ist wenig zu erreichen. Da muss mehr passieren!

Keupen: Das muss es. Die Menschen müssen für neue Mobilitätskonzepte gewonnen werden. Das muss Spaß machen, das muss sich gut anfühlen, mit mehr Aktion und Raum zum Ausprobieren. Professionelle Kommunikation ist für mich ganz zentral als Oberbürgermeisterin. Das Handeln der Politik und der Verwaltung muss viel transparenter nach außen getragen werden.

Können Sie den Aachener Einzelhandel beim Thema Mobilität überzeugen?

Keupen: Ja. Ich habe mit Einzelhändlern gesprochen, etwa in der Hartmannstraße, und ich konnte sie überzeugen: von mir, von meiner Haltung, die Stadt zu verändern. Der Handel sucht doch auch nach Möglichkeiten, die Aufenthaltsqualität in der Stadt zu stärken, und will sich engagieren.

Zur Mobilität gehört die Frage, wie man die schön gestaltete Stadt mit weniger Autos, mehr Aufenthaltsflächen, neuer Möblierung erreicht. Es gibt Einpendler und Touristen.

Keupen: Wir haben das große Projekt Regio-Tram mit der Erschließung vom Norden her, das wird aber mindestens acht Jahre dauern. Wie kriegen wir also eine bessere Anbindung als mit der Linie 51, die aus allen Nähten platzt? Wir können Aachen nicht so einfach wie Maastricht untertunneln, wir haben überall sofort Probleme, wenn wir in die Tiefe gehen.

Alternativen?

Keupen: Wir haben konkret den Tivoli und die Aachen-Arkaden mit Parkhäusern, die überhaupt nicht genutzt werden.

Weil es dafür kein attraktives Angebot gibt.

Keupen: Genau, aber das wäre kein Problem. Die müssen wir als übergangsmäßige Mobilitäts-Hubs entwickeln. Da parkt man für fünf Euro am Tag und kommt auch mit fünf Personen mit einem Shuttle, der samstags hin und her fährt und die Parkhäuser bedient, schnell in die Stadt. Der Einzelhandel ist bereit, dies mit Gutscheinen und Lieferservice zu unterstützen. Und ich setze mich ein Mal im Monat in eines der Parkhäuser und schenke Kaffee aus, um dafür zu werben.

Kann man auf die Straßenbahn in der Innenstadt verzichten?

Keupen: In der Stadt wird es in Zukunft auch andere Systeme geben, die agiler sind, die Schiene ist dort zu schwerfällig. Intelligente, eher kleine Lösungen sind gefragt – vom autonomen Elektrobus bis zum Seilbahnsystem.

Wie stellen Sie sich den Büchel vor?

Keupen: Als städtebaulich attraktiven Baukörper, den wir als Stadt gestalten – als Haus der Stadt, als Bürgerforum, als neue Mitte, wo wir verschiedene Bereiche abbilden wie Haus des Wissens, Marktplatz, Start-ups. Das kann ich mir alles in einem Gebäude vorstellen mit der Stadt als Investor oder Mieter. Von diesem Kern heraus entwickeln wir die Stadt neu. Eine gute Mischung ist das Konzept der Zukunft. Diese Mischung darf nicht zufällig sein. Dieser Prozess muss strukturiert werden. Das muss die Stadt machen, das können wir nicht dem freien Markt überlassen.

Das gehen Sie nun kurzfristig an?

Keupen: Absolut. Der Büchel steht ganz oben auf der Agenda.

Und die große Baustelle Bushof?

Keupen: Die kommt dann als Nächstes.

Was passiert da?

Keupen: Die Hälfte, die der Stadt nicht gehört, müssen wir zurückholen. Wir müssen den Verkehr neu organisieren. Dass die Busse über die Peterstraße in die Stadt reinfahren und sie damit zerschneiden, das ist nicht gut. Dafür brauchen wir ein ganz neues Konzept mit dezentralen Abholstationen. Da gibt es Widerstände, aber jetzt ist es höchste Zeit, Veränderungen erfolgreich anzustoßen.

In der OB-Stichwahl: Sibylle Keupen, parteilose Kandidatin der Grünen.
Vom Plakat ins Rathaus: „Es stehen große, nicht einfache Themen an.“

Werden Sie intensiver als hier bisher üblich externe Experten zurate ziehen?

Keupen: Auf jeden Fall. Expertenrat und Experten-Monitoring, besonders von außen, sind mir ganz wichtig. Und ich möchte Innovationen aus unseren Hochschulen viel intensiver auf die Straßen bringen. Die Stadt nutzt bisher diese Ressourcen nicht genügend. Ich sehe Aachen als Experimentierraum der Hochschule. Die Stadtgesellschaft muss entwicklungsfreudig sein und sich darauf freuen, wenn sich zum Beispiel die erste Seilbahn plötzlich bewegt.

Welches Leben hauchen Sie dem Neuen Kurhaus ein?

Keupen: Ein schwieriges Projekt. Ehrlich gesagt: Da habe ich noch keine Idee. Da ist viel Geld in die Hand genommen worden, mit dem man andere Immobilien in der Innenstadt hätte erwerben können.

Hätten Sie das Neue Kurhaus verkauft?

Keupen: Ich denke schon, mit dem Geld hätten wir an anderen Stellen mehr für die Stadtentwicklung umsetzen können.

Es gibt noch eine Initiative, die an diesem Standort eine Kongress- und Konzerthalle sehen möchte. Denkbar?

Keupen: Eine solche Halle fehlt der Stadt Aachen. Ich könnte sie mir gut auf dem Campus West vorstellen, wo man sie an andere Projekte andocken könnte. Man darf nicht nur in eine Richtung denken. Das gilt ebenso für die Mehrzweckhalle der Volleyballerinnen, wo auch Konzerte veranstaltet werden können.

Das betrifft das Gelände des Ex-Polizeipräsidiums.

Keupen: Das ist das Thema Sportpark Soers. Wie entwickeln wir dort die gesamte Fläche vom Tivoli bis zum Polizeipräsidium mit dem ALRV dazwischen?

Was passiert mit dem Tivoli?

Keupen: Im Tivoli würde ich gerne ein erstes Bürger-Forum machen und alle Menschen der Stadt einladen, ihre Wünsche und Ideen zu platzieren. Der Tivoli sollte zudem zusätzlich als Konzertfläche genutzt werden und nicht allein vom wirtschaftlichen Erfolg der Alemannia abhängen. Deshalb müssen wir dieses Stadion auch stärker anders nutzen.

Und die Stadtverwaltung? Welche alten Zöpfe müssen Sie abschneiden?

Keupen: Puh. Da sind zunächst kleine Dinge. Es werden nicht alle Sitzungen des Verwaltungsvorstands im Rathaus stattfinden. Das OB-Büro will ich aus dem historischen Rathaus näher an die Verwaltung heranrücken, um dort als Team effektiver arbeiten zu können. Die räumlichen Bedingungen müssen modernisiert werden, um agiler arbeiten zu können. Das Rathausbüro werde ich weiterhin als repräsentativen Raum der Begegnung und des Austausches nutzen.

Wo müssen Sie in Aachen die dicksten Bretter bohren?

Keupen: Beim Umbau des ÖPNV und dem respektvollen Miteinander der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmenden. Das ist ein ganz zentraler Konflikt, der im Moment die Stadt in ihrer Entwicklung lähmt. Ich unterstütze sehr die Bemühungen, einen Bürgerrat einzurichten. Mit diesem Thema könnte man da gut einsteigen.

Bleiben Sie parteilos?

Keupen: Ja.

Sie wohnen in Kohlscheid: Bleiben Sie dort?

Keupen: Erst einmal ja, aus familiären Gründen. Aber ich kann mir vorstellen, irgendwann auch nach Aachen zu ziehen, dann am liebsten nach Aachen-Nord.

Zur Person. Sibylle Keupen wurde 1963 in Mayen in der Eifel geboren. 1994 übernahm die Diplom-Pädagogin die Leitung der Bleiberger Fabrik in Aachen. Zudem engagiert sie sich für Jugend, Frauen und Bildung. Für die Kommunalwahl 2020 nominierte Bündnis 90/Die Grünen sie als parteilose Kandidatin für das Oberbürgermeisteramt. Bei der Stichwahl am 27. September gewann sie mit 67,37 Prozent der Stimmen gegen Harald Baal (CDU). Sibylle Keupen ist Mutter zweier erwachsener Söhne und lebt mit ihrem Mann und zwei Hunden in Herzogenrath-Kohlscheid. www.aachen.de · www.sibylle-keupen.de

Fotos: Andreas Herrmann, Bernd Mathieu und Homepage Bündnis 90/Die Grünen (Plakatmotiv)

Das Interview erscheint in der November-Ausgabe des Stadtmagazins BAD AACHEN.

4 Gedanken zu „Sibylle Keupen: „Da wird es nicht nur Beifall geben“.

  1. Hallo gnaedige frau.
    Das MIT dem Tivoli als konzert sollten sie sich sofort abschminken.
    Das station,das uns buerger jedes jahr ca 1000000euro kostet,ist nur als eine sportstaette genehmigt.
    Wir anwohner werden es nicht zulasse,dass dort konzerte und aehnliches stattfindet.
    Da koennen sie ganz sicher sein .
    Basta!

  2. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
    Was mir in Aachen immer auffällt ist mangelnde Abstimmung zwischen Baustellenmanagement und Verkehrsführung. Ein heutiges Beispiel: die Roermonder Straße ist in Laurensberg gesperrt. Der Verkehr aus Richterich muss in die Laurentiusstraße einbiegen. Dort wird aber nach wie vor geparkt, so dass keine zwei Autos aneinander vorbei können. Lange Staus sind die Folge.
    Zweites Beispiel: Bei der Umgestaltung des Theaterplatzes blieb die Ampelschaltung wie vorher.
    Ich wünsche Ihnen viel Kraft

  3. Ein sehr gutes und informatives Interview. Aus meiner Sicht werden viele Baustellen angesprochen und ich habe auch das Gefühl, dass Frau Keupen klare Vorstellungen bei der Umsetzung hat. Hoffentlich lassen Sie sich nicht von Kommentaren wie einem „Vorkommentator“ entmutigen. Die meisten Menschen sehen die Notwendigkeit, etwas verändern zu müssen damit unsere Stadt wieder attraktiver wird. Die Hauptbaustellen hat Herr Mathieu aus meiner Sicht sehr gut herausgestellt. Gerade junge Leute würden sich über größere Veranstaltungen und Konzerte freuen. Das Experiment „Aachen Olé“ hat gezeigt, dass das Angebot angenommen wird. Es hat aber auch gezeigt, dass sich in der Verwaltung einiges tun muss um solche Konzerte professionell durchzuführen. Aachen ist in vielerlei Hinsicht noch ein Dorf.
    Viel Erfolg und viel Glück für Frau Keupen 🙂

  4. …ich verfolge mal das Geschehen…den Beitrag habe ich mir abgespeichert und werde ihn in einem Jahr wieder aufrufen und auswerten….total neutral!!! Ich habe allerdings jetzt schon vereinzelte Zweifel an manchen Guten Vorsätzen der Grünen Partei.

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